Plünderungen

Aus Ägypten kommen seit Tagen beunruhigende und verstörende Bilder. Die Wut auf Mubarak entlädt sich in Straßenschlachten, Prügeleien – Menschen sterben, Häuser brennen. Die Schilderungen der Reporterkollegen in Kairo sind professionell und bewegend – wie ihnen inmitten dieses Revolutionschaos zumute ist, kann man wohl höchstens ahnen. Hier im Nordosten haben ich in den vergangenen Tagen schon öfter den Ausspruch gehört: “Mensch, was können wir froh sein, dass bei uns vor 21 Jahren alles friedlich abgelaufen ist – ohne Blutvergießen” (ja, auch bei einigen Montagsdemos gab es nach Volkspolizei-Einsätzen Verletzte  – aber deren Anzahl ist mit den vielen Todesopfern in Ägypten nicht zu vergleichen).

Was mich bei den Bildern aus Kairo – wie auch bei Berichten aus anderen Regionen, in denen sich Revolutionen ereignen oder die von Naturkatastrophen heimgesucht worden sind – verwundert: plötzlich gibt es Horden von Plünderern. Da ziehen marodierende Banden raubend und brandschatzend durch die Straßen. In der Tagesschau sah ich zum Beispiel einen jungen Mann, der mit einer Stehlampe unterm Arm durch die Trümmer von Ladeneinrichtungen auf einem Fußweg stapfte. Vermutlich sagt es nichts über die Not und die Unterdrückung der Menschen in Ägypten aus, dass nun einer von ihnen im größten Chaos ausgerechnet eine Stehlampe klaut – andere haben versucht, das Nationalmuseum auszuräumen oder wenigstens möglichst viel kaputt zu machen.

Was für ein Gemüt muss man haben, dass man gerade dann, wenn das eigene Volk versucht, die politischen Verhältnisse in absolutem Maße zu verändern, andere, also Mitmenschen um ihr Hab und Gut zu bringen, Angst und Schrecken zu verbreiten? Was geht in einem vor, wenn man nachts Schaufensterscheiben eintritt, Lebensmittelläden verwüstet, fremde Wohnungen heimsucht – bloß weil gerade keine Ordnungsmacht vorhanden ist? Gegen was oder für wen soll das gut sein? Warum kommt man auf die Idee, das man ausgerechnet in der Zeit der größten Not noch mehr Leid verbreitet. Und was sind das für Menschen, die Straßensperren errichten, die Türen aufbrechen, die alles klauen? Da brechen sich die niedrigsten Instinkte Bahn – oder ist das alles berechnend.

Ich bin sicher: Das hätte hier genauso passieren können. Wenn die Geschichte der Wende – möglicherweise nur durch einen dummen Zufall – hierzulande anders verlaufen wäre, dann hätte das alles 1989 hier vielleicht auch gegeben. Was für eine schreckliche Vorstellung.

Autor: Christian

Der Verfasser aller Beiträge auf kohlhof.de

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