“Juhu, kein Ami!”

Schmidt in Shanghai: Der vorerst letzte Versuch – und was man für 60 Euro alles mit sich machen lassen kann oder muss.

Ein paar Tage vor dem Rauswurf aus der Volksrepublik China versuche ich, zusammen mit der Sekretärin, in Shanghai noch einmal mein Glück bei den Behörden. Dort gibt es ein deutsches Konsulat, und wir werden vorstellig, erst einmal indem wir uns plump davor stellen. Im Mute der Verzweiflung warte ich bis zur Öffnung, denn meine Situation gebietet mir nicht viele Optionen im Moment. Demnach denke ich wie die Biathletin und Vorzeige-Anglistin Uschi Disl, die einst zur Presse sagte: „Now can come what wants“. Aber man weist uns am Tor rüde ab und meint, ein Konsul sei zu Besuch gekommen. Na gut, das ist normal in einem Konsulat, denken wir. Jedenfalls keine Audienz. Der Wärter fragt mich durch seine Zahnlücken: „You America?“ – „No!“ – „Good!“ „“Juhu, kein Ami!”“ weiterlesen

Aus der Traum

Schmidt in Shanghai: Einfach nur kafkaesk

„Ouahh“ ist nicht die Antwort auf die Frage, wie man Orang-Utan in Nanjing sagt, sondern ein Gähn-Laut, den ich nach getaner Arbeitslosigkeit neulich Abend tat. Kurz zuvor sah ich noch die Sekretärin meines Chefs in der Gemeinschaftsküche erkältet am Teeglas haften und mir sagen hören: „Herr Schmidt, ich glaube, ihre Aufenthaltsgenehmigung macht gute Fortschritte. Morgen früh telefoniere ich ein wenig, und dann, glaube ich, kann ich Ihnen gute Nachrichten bringen“. Fein, also eine prima Voraussetzung um einzuschlafen. Gegähnt, getan.

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Versöhnung und Vandalismus

Schmidt in Shanghai: als versöhnlicher Gastgeber, Dekorateur und Waschmaschinengewicht.

Der achte Blog wird, wie die chinesische Zahlenphilosophie es vorsieht, das Glück zurück bringen. Ich habe meinen Frieden mit dem Land China gemacht, auch wenn der Spruch abgedroschen ist. Wenn das Land jedoch nur in Mäuseschritten auf einen zukommt, dann muss man eben selbst einen größeren Schritt wagen und den Menschen, mit denen ich hier am meisten zu tun habe, entgegen eilen.

Musik und Mampfen sind international, also dachte ich mir, ich schmeiße eine Party mit Essen und Liedern, dann wird schon ein Stück geschafft werden. Wer sollte etwas gegen solche Schleimereien sagen können? Ganz besonders freue ich mich, mecklenburgische Eierkuchen zu machen. In der Küche drehe ich zum Test am Gasherd, aber nichts passiert. Ich schaue in allen Luken links und rechts davon nach, aber keine Gasflasche. Der Hausmeister bringt später zwar eine, aber auch er bekommt die Sache nicht zum Laufen. Nun gut, es wird dann auch mit Snacks gehen, gehen müssen. Meine Kollegin half mir beim Einkaufen, und so brachten wir alles Mögliche in unser neues großes Büro und bereiteten eine Party vor.

Der Erfolg kam, das Eis brach, die Menschen freuten sich. Na also, es geht! Es wurde geklatscht, gesungen, gelacht und auch getanzt. Chinesisch, Deutsch und Englisch waren dabei, sogar Plattdeutsch habe ich gewagt, mit dem Lied „Dat du min Leevtsen büst”. Für uns ist es kaum vorstellbar, wie ähnlich sich die Sprachen in einem asiatischen Ohr anhören, und die Zuhörer kaum merken, wenn man von Deutsch auf Englisch wechselt. Dennoch war es wohl eine gute Idee, es kamen viel mehr Gäste als wir dachten, und so mussten von weit her Stühle herbeigezaubert werden, es wurden chinesische Olympiahymnen mit Hilfe von Laptop-Karaoke geschmettert und angeblich berühmte deutsche Fußballlieder gespielt, die uns aber nur vom Namen etwas sagten. Die Snacks waren schnell verputzt, Sonnenblumenkerne und Sesambrösel waren hier der Renner, auch neongrüne Trend-Getränke wurden angenommen, obgleich sie wohl anderenorts als Industriekleber genutzt werden können. Eine sehr schöne Party, rundherum. Viele der jungen Damen und Herren waren recht aufgeregt und plapperten noch später aufgeregt darüber.

Der Morgen danach war mit Aufräumarbeiten gefüllt. Also fix aufgestanden, noch eine Waschmaschine mit schmutzigen Tischdecken und Handtüchern angestellt und dann die Reste aus dem Büro geschleppt. Gesagt, getan. Gläser und Teller waren schnell herüber in die Küche gebracht. Dann gönnt man sich ein Frühstück. Da Milch hier aus irgendwelchen Gründen Mangelware ist und man kaum 10 Liter in einem Supermarkt findet, mache ich mir ein Müsli mit Erdbeerjoghurt.

Als ich mit der Schale Müsli noch mal in den gestrigen Feierraum gehe, höre ich ein lautes Rattern und Rumpeln aus der Küche. Ein metallischer Knall, dann ist es ruhig, aber irgendwie tröpfelt etwas. Ich renne sofort zur Küche und rutsche gleich am Eingang in einer Lache Wasser aus, wodurch ich die Müslischale fünf Meter weiter auf den Boden schmettere und somit unfreiwillig die Tapete drum herum mit Erdbeerfarbe um-dekoriere. Ich schaue, langsam aufstehend, in die Küche, und betrachte ehrfurchtsvoll die Waschmaschine, die eine Etage tiefer und wie ein bockiges Kind in die Ecke gewandert ist. Oje.

Aufwischen ist nun die Devise, aber dazu brauchen wir zwei Dinge, einen Eimer, ein wischendes Hilfsmittel, wo für es auf Deutsch so viele Bezeichnungen gibt, auf Chinesisch übrigens „mabù”, und dann drittens noch frische Luft zur Zirkulation. Während ich also wische und mich in den pitschnassen Flur vortaste, gehe ich wie selbstverständlich zum Fenster und öffne es, wobei das äußere Moskitofenster völlig unerwartet das Weite sucht und scheppernd auf das Blechdach knallt. Wie gerufen steht in derselben Sekunde eine Ingenieurin in der Tür. Oh Gott, ich muss ja unterrichten. Sie fragt: „Aber Mr. Schmidt, ich dachte, es gefällt ihnen im neuen Flur. Was machen sie denn hier?” Oje, nun sehe ich die erdbeerfarbene Tapete wieder. An die hatte ich ja gar nicht mehr gedacht. Ja, mir gefällt es hier, eigentlich. Aber was ich hier mache, ist gar nicht leicht zu erklären. Sie geht, und ich vertage die Unterrichtsstunde auf den Nachmittag. Der Wandertag der Waschmaschine und ihr Freiheitsdrang beim Schleudergang werden nun durch mein Gewicht begrenzt.

Basta! Ich mache mir ein neues Müsli und kann ein wenig durchatmen. Da erinnere ich mich an die alte Kinowerbung, die aufzeigt, dass die meisten Unfälle daheim geschehen und man demnach besser nicht da sein sollte, sondern eben im Kino. Zu spät. Aber ich denke bei mir, von nun an kann es heute nur noch langweilig werden.

Carsten Schmidt
, Freund aus Rostocker Uni-Tagen, berichtet in dieser Rubrik über seine Erlebnisse in Shanghai, wo er nun als Deutsch- und Englischlehrer arbeitet. Die Texte erscheinen auch bei miescha.de.

I am a little alien

Schmidt in Shanghai: Verzweifelt – in einem Handy-Laden, auf der Straße und überhaupt.

Vielleicht habe ich einen großen Fehler gemacht, indem ich hierher kam. Einen Denkfehler. Vielleicht habe ich zu Unrecht gedacht, dass es naiv ist und ein wenig illusionistisch, z. B. in Uganda eine Sprachschule für Deutsch und Englisch aufzubauen. Vielleicht sollte ich die Leute, die mir davon erzählten, anrufen und sagen, dass es mir leid tut und sie mehr Chancen haben als ich hier.

Seit meiner Abiturprüfung in Mathe 1998 habe ich mich nicht mehr so dumm, so hilflos und ausweglos gefühlt wie bei der offenbar naiv von mir möglich gedachten Unmöglichkeit, in der dörflichen Stadt Ehu Town, zwischen Suzhou und Wuxi, eine pre-paid-Card für mein Handy zu kaufen.

Okay, man denkt, man nimmt sein Handy, Geld, seine Handy-Karte und ein Wörterbuch in einen der vielen großen „China Mobile“-Läden mit. Aber nichts zu machen. Nicht nur haben sie mich nicht verstanden, sie standen mit zehn Leuten um mich herum und telefonierten nach Leuten, die 3 Worte mehr Englisch zu können glaubten als sie, aber auch das war erfolglos. Keiner der Leute verstand meine notierten Worte „international call card for 200 Yuan“. „I am a little alien“ weiterlesen

Alarmierende Postmoderne

Schmidt in Shanghai: als Gurkendieb, als Kunstkritiker und auf der Flucht.

Shanghai bietet viel für Touristen, wenngleich in der zentral befohlenen Urlaubszeit im Oktober so viele Chinesen von Ulumuqi und anderen Provinzen kommen, dass die Stadt noch mehr aus den Nähten platzt als sonst schon. So zwänge ich mich früh morgens von einem Drehkreuz in der U-Bahn zum nächsten und hoffe, dass die Dame am Schalter die richtige Strecke auf meine Karte geladen hat. Es wird sehr eng und ich presse meine Finger um die Tasche. Die soziale, klaustrophobische Fern- und Nahdiagnose meiner Mit-Steher beinhaltet Knoblauch, transpirative Anstrengung und einige Überraschungen mehr. Puh, nächste Station People´s Square, also der Platz des Volkes. Ich steige aus. „Alarmierende Postmoderne“ weiterlesen

Schaf mit Kettenschaltung

Schmidt in Shanghai – Heute: Allein in China, verschrecktes Huhn und futuristischer Konjunktiv.

„Nehmen Sie den Hund zurück!“, ruft der Hausmeister Hü Yoan auf Chinesisch, der im Block sauber macht, in welchem ich wohne. Jedenfalls glaube ich das. Er verweigert mit dem Satz jedoch nicht etwa eine Restaurantbestellung, sondern hat Angst vor einem kleinen weißen Rawuff, der ab und an auch das Huhn Phoebe mit Angstschauern belegt.

Huhn Phoebe auf der Flucht
Phoebe auf der Flucht. Huhn in Angst ist in diesem Fall bittere Realität und keine Umschreibung für ein traditionelles Gericht auf asiatischen Speisekarten.
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Erotik-Error

Schmidt in Shanghai. Heute: Mitfahrgelegenheiten, wieder Hühner und religiöse Missverständnisse

Wenn der Prophet Mao nicht zum Berg kommt, muss der Berg eben zu Mao kommen. Oder: Wenn man so merkwürdig müde ist wie ich, und Kaffee so teuer, muss man irgendwie seine Kondition verbessern. Sport soll die Lösung sein. Das nächste Aerobic-Studio ist aber weit weg, so dass ich mir ein Werbe-Prospekt schnappe und mit lässiger Jogginghose sowie Handtuch um den Hals ein Taxi rufe. Der Fahrer schaut nickend auf das Prospekt und lächelt. Er heißt Chü und braust los. Wir fahren wild in Richtung Stadtrand, bevor der abendliche Verkehr immer zäher wird wie der süße Brei im russischen Märchen. Neben einem voll Gras bepacktem Tucktuck steht ein wackeliger Hühnerlaster ohne Licht, aus dem eine kleine Frau steigt. Nichts geht mehr auf der Kreuzung und die Frau sucht nun wohl ein Taxi.

Zack – öffnet Chü die Tür – und lässt die Frau neben mir auf den Rücksitz. Das kam jetzt aber ´n bisschen plötzlich, Chü! „Erotik-Error“ weiterlesen

“Ich beneide ihren festen Stuhl”

Schmidt in Shanghai*. Heute: Defekte Sitzmöbel, Hühner im Hof und chinesisches Leitungswasser.

Fünf Tage nach Ankunft in Suzhou schlafe ich tief und esse wenig. Die Hitze ist groß und meine Aufgabe unklar, noch. In einer Firma eine Stunde vom Apartment entfernt habe ich schon ein wenig Englisch und Deutsch unterrichtet, aber langfristige Pläne werden erst noch geschmiedet, so wie einige Instrumente im Ofen der Firma auch.

Chinesische Schriftzeichen - Symbol für Carsten Schmidts Kolumne

Als nun akkreditiertes Mitglied des Managements esse ich mit den Bossen an einem runden Tisch Tintenfisch, süße Bohnen oder Nudeln mit Reis. „“Ich beneide ihren festen Stuhl”“ weiterlesen