Mutti und Vati berichtigen prangernd

Im Oktober fand im Niedersächsischen eine inzwischen legendäre Party statt. Die Folgen müssen erheblich gewesen sein, denn Mutti und Vati hatten nach der Rückkehr von ein paaar unbeschwerten Urlaubstagen die eigene Wohnung verwüstet vorgefunden. Der Tatverdächtige im Fokus der parentalen Ermittler: der Sohn und seine mutmaßlich abgefeimten Komplizen … In ihrer Not haben Mama und Papa in einigen Fällen wohl etwas voreilig geurteilt, als sie diese Anzeige in der Lokalpresse schalteten.

Jedenfalls haben andere Eltern reagiert und korrigierende Inserate veröffentlicht:

Elternanzeige Fortsetzung1

Familie Riecke bemüht sich um ihren guten Ruf

Und auch Mama und Pap selbst sahen sich angesichts des wachsenden öffentlichen Drucks noch einmal genötigt, eine Anzeige zu schalten:

Elternanzeige Fortsetzung 2

Mama und Papa korrigieren sich – teilweise. Und sie haben neue Spuren.

Immerhin haben sie nun, weil in dem kleinen Örtchen offenbar nahezu jeder jeden bezichtigt, neues Beweismaterial. Wäre doch lustig, wenn sie zumindest einige Bilder davon mal in der Zeitung drucken würden…

Vielen Dank an den Biografen für die knallharte Nachrecherche und die Zuarbeit.

Buntes Treiben im “Grauen Esel”

Heute vor 13 Jahren begann meine Laufbahn als Journalist. Am 13. November 1993 hat zum ersten Mal eine Tageszeitung einen Text von mir gedruckt (und dafür auch gleich bezahlt, ein paar Mark.) Und hier ist er noch einmal, wegen des großen Erfolges:

Buntes Treiben im Grauen Esel

So beginnen Journalisten-Karrieren: Außer die klassischen Fakten zu erwähnen habe ich auch an den Mehrwert für den Leser gedacht und unter anderem die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel empfohlen.

Die Ankündigung für einen Basar in einer Kindertagesstätte im Lübecker Stadtteil St. Jürgen ebnete mir den Weg in die Lokalredaktion der Lübecker Nachrichten. Die Redaktion hat den Text – meiner Erinnerung nach – 1 zu 1 übernommen und vor allem auch meinen Überschriftenvorschlag akzeptiert (darauf war ich besonders stolz). Was folgte, war wenig später der erste richtige Auftrag der Redaktion: Eine Rezension über “Wachtmeister Holm”, der am Wochenende im Kolosseum aufgetreten war. Zehntausende Zeilen habe ich inzwischen geschrieben, tausende Fotos gemacht, O-Ton-Material gesammelt, das für mehrere Wochen reicht, tagelang im Radio erzählt – und es macht mir immer noch Spaß.

Früher bei den LN bekam ich immer eine Gänsehaut, wenn die Rotationsmaschine anlief und der Hauch von Druckfarbe durch die Flure wehte. Und heute läufts mir vor Begeisterung manchmal kalt den Rücken runter, wenn die Arbeit von ganz vielen Personen zusammen eine schnelle, aktuelle, unterhaltsame Radiosendung ergibt, zu der ich etwas beitragen kann.

Soweit wäre es vielleicht nicht gekommen, wenn meine ersten redaktionellen Schritte bei den LN nicht so wohlwollend begleitet worden wären. So haben sich die Kollegen oft Zeit genommen, mit mir ausführlich über meine Texte zu sprechen, positiv und negativ zu kritisieren, gemeinsam Änderungsvorschläge zu erarbeiten. Und ich hatte bei den LN oft die Chance, Neues auszuprobieren, mich Herausforderungen zu stellen und einfach mal was zu machen, als freier Mitarbeiter, als Volontär und natürlich auch als Redakteur. Für diese äußerst “praktische Einführung in den Journalismus” bin ich sehr dankbar.

Diese Aufgeschlossenheit, diese Geduld und Ehrlichkeit, die habe ich mir zum Vorbild genommen: Zuweilen begleiten mich jetzt Praktikanten bei meinen Reporter-Einsätzen – und für diese Gäste nehme ich mir oft auch mal ein bisschen mehr Zeit (wenn ich wenigstens einen Hauch von Interesse erkenne), lasse sie Beispieltexte recherchieren und schreiben und selbstverständlich auch sprechen. Manchmal fragen mich die Jungs und Mädels dann, warum ich das mache. In Zukunft werde ich dann einfach auf dieses Posting hier verweisen.

PS: Natürlich soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass meine journalistischen Wurzeln wohl schon ein bisschen früher als 1993 gekeimt haben. Ein historisches Tondokument wurde hier ja bereits veröffentlicht. Außerdem habe ich in der sechsten Klasse gemeinsam mit zwei Schulfreunden mal unseren Biolehrer, einen gestandenen Tierarzt interviewt (der ein Wildschwein aufgepäppelt hat, dessen Mutter im Grenzstreifen angeblich auf eine Mine getreten war) sowie für die Katharineum Ruderriege jahrelang an der Mitgliederzeitschrift layoutet und geschrieben. Außerdem habe ich gemeinsam mit Kumpel Schem im Offenen Kanal Lübeck die Show “Zum Blöden Bock” präsentiert. Eine Magazin-Sendung, über deren Inhalt vor allem wir beide herzhaft lachen konnten. Und dann war da ja während meines Studiums auch noch der heuler. Um mal so die wesentlichen Punkte zu nennen. Und weil auch meiner Verwandtschaft nicht verborgen blieb, dass ich so ein Pressefritze werden wollte, war es dann Onkel Godehard, der mich an einen dpa-Geschäftsführer vermittelt hatte. Und dieser Mann hat mir nach langen und interessanten Ausführungen über das Journalistengeschäft empfohlen, einen Beispeiltext zu schreiben und mich bei meiner Lokalzeitung zu bewerben. Es war genau der oben erwähnte Beitrag.

Mutti und Vati prangern an

Mal angenommen, man findet nach einem Kurzurlaub die eigene Wohnung dergestalt vor, dass es nach Kotze, Schnaps und Rauch stinkt. Was kostet es wohl, die Folgen zu beseitigen? Wahrscheinlich eine ganze Menge. Jedenfalls fallen die Kosten für eine zweispaltige Zeitungsanzeige in diesem Zusammenhang wohl kaum ins Gewicht:

Rache per Annonce

Verzweiflungstat entsetzter Eltern: Der Annoncen-Pranger im Lokalblättchen rechnet mit dem eigenen Nachwuchs ab.

Jan-Thomas K., über den wir nicht wissen, wie alt er ist (und ob er jetzt immer noch bei seinen Eltern wohnt), hat Mama und Papa wohl wenig Freude gemacht. Ich habe mich ja schon immer gefragt, was Mitarbeiter von Anzeigenabteilungen wohl denken, wenn Leute kommen, um Texte aufzugeben. Wie lange dauert es zum Beispiel, bis die Dame hinterm Tresen wenigstens innerlich ausrastet, wenn wieder irgendwer ne Anzeige aufgibt wie etwa: “Kaum zu glauben aber wahr, Oma Pacholke aus der Knut-Wernersen-Straße in Posemuckel wird heut’ 78 Jahr'” Das ist wohl nur mit tödlicher Routine zu ertragen. Was aber wird im Anzeigenbüro losgewesen sein, als Karin und Reiner K. dort ihr Ansinnen vortrugen? “Sie möchten eine Familienanzeige aufgeben? Hochzeit, Geburt oder ein bedauerlicher Todesfall?” Papa: “Wohl eher Letzteres!” Wie lange wird man wohl gemeinsam am Text gefeilt haben und hat die groben Schimpfwortklötze mühsam behauen und lieblos geschliffen mit einem Sandpapier aus Wut und Enttäuschung. Und das alles, damit die Anzeigentante wenig später und mit betont sachlichem Blick über ihre Goldrandbrille noch einmal zusammenfassen darf: “Ich lese dann noch einmal vor: ‘… verdrecktes, nach Erbrochenem, Alkohol und Rauch stinkendes Haus… diese jungen Leute stammen vom Schwein ab.’ Wieviele Ausrufezeichen dürfen wir denn anfügen?”

Mama und Papa K. werden die Geschäftsstelle verlassen haben mit dem Gefühl, es ihrem Sohnemann mal richtig gezeigt zu haben. Die Frage ist, ob der Junge das überhaupt schon gelesen hat. Sie hätten vielleicht lieder eine Internetseite schalten sollen – die Jugend, um mal ein Vorurteil zu bemühen, liest doch heutzutage gar nicht mehr…

Und viel mehr ist noch unklar: Wie sind die Eltern an die Namen der anderen mutmaßlichen Helfer gekommen. Durch ein knallhartes Verhör? Gibt es Video- oder Bildmaterial von dem Ereignis, das für die Geruchsbelästigung in den eigenen vier Wänden verantwortlich ist? Und vor allem: Stellen sich die Eltern damit nicht selbst mit an den Pranger? Ist ihnen in ihrer Wut klargeworden, dass sie mit der Behauptung “diese jungen Leute stammen vom Schwein ab” auch ihren eigenen Sohn mit einbeziehen? Na, und von wem stammt der ab? Genau! Was sind also Karin und Reiner K-Punkt? Und wieder mal kein guter Tag für Familie K. …

Entdeckt in Binz, leider keine Angabe, wo erschienen (die Anzeigen drumrum lassen auf Niedersachsen schließen (Steinhude, Wunstorf), aber ein Datum: Die Zeitung ist vom 7./8. Oktober.

PS: Auch ich bin aus meinem Kurzurlaub zurück – und habe meine Wohnung so vorgefunden, wie ich sie hinterlassen habe. Was ich zwischen Ab- und Anreise erlebt habe, werde ich hier gerne mitteilen. Aber jetzt gehe ich erst auf eine Party, mal sehen, ob ich dort, äh, helfen kann…