Schmäh-licher Notruf

Eine Tüte Erdnussflips, mehr wollte ich gar nicht. Auf dem Weg in den Feierabend fuhr ich deshalb noch schnell ins Supermarkt-Parkhaus. Unwillkürlich fand ich mich mit einer Roboter-Version von Peter Alexander konfrontiert.

Wer ins Parkhaus fährt, bekommt ein Kärtchen, das die Mädels an der Kasse entwerten und dann der Kassenautomat draußen neben der Kaufhaus-Tür auch noch wohlwollend für gültig befinden muss. So läuft es Tag für Tag nach alter Väter Sitte. “Karte in Ordnung. Bitte zur Ausfahrt” schrieb der türkise Kasten gütig auf sein Display. Ich wäre sehr gern gegangen, nur dazu hätte ich gern die Karte mitgenommen – und die rückte die Blechbox nicht raus. Stattdessen surrte der Apparat jämmerlich aus seinem “Karte-oder-Wertbon-bitte-hier-einführen”-Schlitz.

Ich stand davor und blickte aufmunternd an dem Gerät hinauf. “Karte in Ordnung. Bitte zur Ausfahrt” blinkte er mich inzwischen an und ich war mir sicher, darin eine gewisse Ungeduld zu erkennen. Passanten hasteten an mir vorbei, während ich hilflos nach einer Lösung suchte. Sie verbarg sich hinter einem von drei Knöpfen, zwei schwarz, einer rot. Neben letzterem stand das Wort “Storno”, die anderen beiden waren für “Quittung” und “Notruf” zuständig.

Ich entschied mich für “Quittung” und betätigte beherzt den Knopf. Vielleicht schiebt ja die Quittung auch mein Ticket wieder raus, dachte ich noch so bei mir – doch der Zahlbeleg kam aus dem extra dafür vorgesehenen “Quittung-bitte-hier-entnehmen”-Schlitz. Ich steckte das Zettelchen in meine Manteltasche und kam zu dem Schluss, dass nun wohl nur noch „Storno“ helfen könnte. Schließlich hatte ich weder die Quittung über die Zahlung von 0 Euro noch den ganzen Ärger mit der blöden Kiste überhaupt gewollt. Zudem wirkte das Rot des Schalters so wichtig. “Hey, wenn Du mal richtig in der Tinte sitzt mit dieser ganzen Automatenbande, dann benutz mich… los benutz mich” schien er laut zu flehen. Verlogener Plastik-Pickel! “Nicht möglich”, ließ er das Display mitteilen.

Die Lage war ausweglos. Nur, war das eine Notlage, so in etwa wie Raub, Mord oder Totschlag, brennende Autowracks mit eingeklemmten Müttern, brennende Hochhäuser und dergleichen? Verbindet der Druck auf den “Notruf”-Knopf direkt mit dem Lagezentrum im Innenministerium oder der Leitstelle der Feuerwehr? Oder war “Notruf” nur die wohlwollende Umschreibung für die verräucherte Parkwächterbutze am Hintereingang? Berichte von Kollegen über behördliche Anzeigen wegen Missbrauchs öffentlicher Notrufeinrichtungen gingen mir durch den Kopf. Egal, ich entschied mich für “Notruf”.

Es piepte wie aus einem Telefon, das an einen Marshall-Verstärker angeschlossen wurde. Passanten stockten kurz im Vorbeigehen. Ich nickte ihnen beruhigend zu. Es piepte wieder. Der kalte Klang hallte wieder an den Betonfassaden. Dann knackte es. “Bitte bewahoan’s Ruhe. Sie werden sofort zu einer Notrufzentrale durchg’scholtn”, brüllte der Automat. Fußgänger, die eben noch betont unbeteiligt taten, warfen mir mitleidsvolle Blicke zu. Da stand also einer vor nem Parkhausautomaten und ließ sich anbrüllen von einer Stimme mit Wiener Schmäh, die an den frühen Peter Alexander erinnerte.

Während der Automat also knackte und ansonsten schwieg hatte ich Zeit, mir darüber klar zu werden, was eigentlich gerade passierte. Mal angenommen, man wäre wirklich in einer ernsten Lage mit verwarzten Drogensüchtigen, die einem rostige Klingen an die Kehle drücken. Zufällig würde sich all dies Ungemach aber in der Nähe eines Kassenautomaten aus Österreich zutragen, man drückte in heller Panik erst Quittung, dann Storno, ließe sich vom Apparat gängeln, fände endlich den Notrufknopf und bekäme dann etwas zu hören, was eher an Ribisel und Schlagobers erinnert als an kompetente Hilfe von bewaffneten Sicherheitskräften im Kampf für Gerechtigkeit und die Bedrohten dieser Welt. Während man also wie angeraten Ruhe bewahren würde, dröhnt der Kasten dann erneut: “Bitte bewahoan’s Ruhe. Sie werden sofort zu einer Notrufzentrale durchg’scholtn”.

Niemand, aber auch wirklich niemand wird es schaffen, nicht in Panik zu verfallen, wenn einem ausgerechnet in der Stunde höchster Not ein Österreicher mit der Lautstärke eines Stadionsprechers ankündigt, dass man demnächst durchgeschaltet wird (mal abgesehen von dem Ingrimm der Passanten drumherum, denen man mit der eigenen Notlage den ansonsten doch recht tristen Nachmittag zu versauen geruht). Während man also scheitert, Ruhe zu bewahren, der fiese Mopp am anderen Ende der Klinge entschlossen sabbert und auf das Portemonnaie giert, redet einem eine österreichische Apparatenstimme ein, dass alles wieder gut wird.

Wie herb muss die Enttäuschung sein, wenn der einzige Helfer, der einem als Opfer von bösen Buben beispringt, der Parkwächter aus einem Kaufhaus irgendwo im Nordosten is. “Was’n?”, holte ein breiter norddeutscher Slang aus dem Lautsprecher mich zurück aus meinen Alpen- und Alpträumen. Es dauerte dann auch keine fünf Minuten mehr und der Herr über vier Parkdecks kam um die Ecke geschlurft, befreite die Karte und damit mich aus meiner Notlage.

Ich habe Konsequenzen gezogen: Künftig werde ich nach Möglichkeit zu Fuß einkaufen gehen – und nach Österreich werde ich nur noch fahren, wenn ich mich absolut sicher fühle. Nicht auszudenken, was für erschütternde Erlebnisse einen an Notrufsäulen zwischen Innsbruck und Wien erwarten.

Autor: Christian

Der Verfasser aller Beiträge auf kohlhof.de