Sturz ohne Handy

“Oha, jetzt muss ich aber aufpassen, dass ich hier nicht gleich abrutsche und auf die Schnauze falle”, dachte ich noch so bei mir, als ich geschmeidig, kraftvoll und mit entschlossenem Schritt in Ausübung meiner Dienstpflichten am Kreuzfahrtterminal in Warnemünde entlanghastete. Behende hatte ich bislang alle Hindernisse umkurvt: Spaziergänger, Kinder auf Fahrrädern, Lastwagenfahrer, die in kleinen Gruppen auf dem Bürgersteig standen. Weil so viel los war auf dem Fußweg hatte ich mich im rasanten Lauf zu einer Gratwanderung entschlossen. Direkt auf dem Kantstein setzte ich mit weiten Schritten einen Fuß vor den anderen. Ich hatte gerade die Wörter “Schnauze fallen” zuende gedacht, da glitt ich mit dem linken Fuß rechts am Kantstein hinunter, was zwangsläufig dazu führte, dass ich mit dem rechten Fuß an meiner linken Wade hängen blieb. Mit dem eleganten Spurt war es in diesem Moment vorbei.

Menschen machen ja auch die blödesten Gesichter, wenn sie stürzen. Vor meinem inneren Auge ratterte eine Galerie mit derartigen Schnappschüssen vorbei, während ich schräg vornüberkippte. Menschen kneifen dann die Augen zusammen, die Haare fliegen wirr, oft ist auch der Mund geschürzt oder gar gespitzt, die Hände haltsuchend aber hilfelos nach vorn gestreckt – das alles in der Erwartung namenlosen Schwerzes, der schon in weingen Sekunden durch Knie, Handballen, Kopf und was auch immer sonst noch zucken wird. Wenn jedenfalls in diesem Moment ein Foto von mir gemacht worden wäre, dann hätte ich ganz sicher genau so ausgesehen.

Ich nahm in jenem Moment auch besorgte Ausrufe mehrerer Spaziergänger wahr, deren silbergraues Haar in der Frühlingssonne glänzte. Ich für meinen Teil war in jenem Moment aber der Überzeugung, dass ich mal wieder Glück zu haben schien. So gelang es mir nämlich , mich seitlich auf die Steinplatten fallen zu lassen. Mein linker Ellenbogen war das erste, was aufschlug. Wenig später setzte ich mit voller Wucht auf. Touchdown. Kein Schmerz. Ich wunderte mich, sah mich am Boden liegend um, konnte weiterhin alle Körperteile in ihren vorgesehenen Ausmaßen bewegen und rappelte mich auf.

“Mann, mann, mann. Und dann auch noch’n Telefon in der Hand”, sagte eine der Silberlocken, die gewissermaßen in der eigenen Bewegung erstarrt meinen Niedergang beobachtet hatten. In diesem Satz klangen zu gleichen Anteilen Mitgefühl, aber auch Anklage mit. Ganz nebenbei: Ich hatte kein Telefon in der rechten Hand, sondern vielmehr mein kleines, handliches, schwarzes Aufnahmegerät. Dessen Hersteller werben mit einer Botschaft, die sich mit der Formulierung “Klangqualität im Handyformat” zusammenfassen lässt. Insofern haben Marketing und Design-Abteilung also gemeinsam den Nagel auf den Kopf getroffen. Wie auch immer.

Während ich also schnaufend und ein bisschen verlegen blickend wieder auf die Beine kam, sich die Beule am Ellenbogen mit sanftem Druck bemerkbar machte und meine Rippen mit leichtem Ziehen die Folgen des Sturzes andeuteten, rief ich ein zur Beruhigung “Mir ist nichts passiert” in die Runde. Ich trollte mich und klopfte mit den Händen den Straßenstaub von Schultern und Hosenbeinen. Abgesehen vom zwackenden Ellenbogen und dem Ziehen im Brustkorb hatte ich keinen Kratzer. Nicht schlecht. Ich bin eben ein Stuntman…

Nur dieser Satz “Und dann auch noch’n Telefon in der Hand” bringt mich inzwischen auf die Palme. Ich frage mich, welche entscheidend andere Wendung mein Leben genommen hätte, wenn ich in dem Moment kein Mobiltelefon oder was auch immer gehalten hätte. Ich hätte wahrscheinlich sogar versucht, mich mit den Händen frontal abzustützen, hätte mir 354 kleine Steinchen und 25 winzige Glassplitter in die Handballen gerieben und hätte einen unerwartet schmerzvollen Nachmittag im Sanitäterzelt verbracht. So habe ich es allerdings geschafft, mich heldenhaft zwischen Betonplatten und mein Aufnahmegerät zu werfen. Dessen Gehäuse hätte ich übrigens gern mal gesehen, wenn ich mich im Fall darauf abgestützt hätte. Natürlich ist man in solchen Momenten versucht, etwas Patziges zu antworten. Wie zum Beispiel: “Meinen Sie, ich hätte mir das Ding lieber unter die Füße schnallen sollen, damit das nicht passiert, oder was?”

Aber nein. Ich habe geschwiegen. Ich bin einfach schnell, aber vorsichtig, weitergegangen. Der Typ hat das bestimmt nur gut gemeint. Ich auch.

Autor: Christian

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