Dramatik scheibenweise

Ein Auto-Fenster-Heiler findet in einem Werbespot die passsenden Worte zur WM, um uns alle aufzurütteln. Zusammengefasst: Vielleicht sollte man seine Autofenster zertrümmern, um pünktlich zum Anpfiff vor dem Fernsehen zu sitzen.

Es folgt: ein Werbe-Spott. “Jetzt zur WM will man natürlich kein Spiel verpassen”, ruft der Mann in der Radio-Werbung und treibt die Dramatik sogleich auf die Spitze: “Erst recht nicht wegen eines Steinschlags”. Derjenige, der dieses Höllenszenario in den Äther bläst, ist eigenen Angaben zufolge so etwas wie ein reisender Autofenster-Heiler einer bundesweit tätigen Autofenster-Heiler-Kette. Er will mit seinen aufrüttelnden Worten dafür werben, dass niemand schneller Splisse, Risse, Scharten und Furchen in Front-, Seiten- und Heckscheiben verschwinden lässt, als er und seine sämtlichst höchst qualifizierten Kollegen.
Die oben beschriebene Situation wirkt da natürlich wie aus dem Leben gegriffen. Wer von uns saß in den vergangenen Tagen nicht schon mal auf dem Sofa, vor einer großen Leinwand oder am Arbeitsplatz, neben sich den kleinen flimmernden Kasten, und ertappte sich bei Gedanken wie diesen: “Bloß gut, dass mich heute kein Steinschlag erwischt hat. Meine Güte, ich hätte Portugal-Nordkorea verpassen können. Oh Gott: Und Algerien-Slowenien neulich auch!”
Da spielt man dann für sich schon mal Situationen durch, was einen wirklich ernsthaft vom Fußball-WM-Vorrunden-Kucken abhalten könnte. Hohes Fieber? Pah! Fristlose Kündigung? Lassen Sie mich kurz überlegen… nein. Eine skandinavische Adelshochzeit? Ähm… nur kurz. Ein atomarer Erstschlag vielleicht? Nein, das ganz sicher nicht. Aber so ein einschneidendes Erlebnis wie ein zersplittertes Autofenster? Große Güte. Da würde der geregelte Alltag ja derart aus den Fugen geraten – da würde man bestimmt für nichts mehr garantieren können.
Bloß gut, dass die freie Wirtschaft vorgesorgt hat und es ein Unternehmen gibt, das mich vor dem größten denkbaren Übel bewahren will. Fast möchte ich meine Windschutzscheibe selbst ein wenig beschädigen, nur um mal zu erleben, wie es sich anfühlt, sich um die Folgen nicht mehr kümmern zu müssen. Außerdem hoffe ich, dann endlich mal pünktlich zum Anpfiff vor einem Fernseher zu sitzen. Aus eigener Kraft habe ich das bislang nicht geschafft…

Autor: Christian

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2 Gedanken zu „Dramatik scheibenweise“

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