Der Tag der Ersatzhose

Seit Jahren war ich darauf vorbereitet, heute war der entscheidende Tag. All das Warten, all das Planen – es hat sich gelohnt: Heute war mein persönlicher Tag der Ersatzhose. Nicht, dass ich ihn herbeigesehnt hätte, aber Haben ist ja besser als Brauchen. Für den Fall der Fälle habe ich im Büroschrank Beinkleider liegen. Das Horrorszenario, das dieser Vorkehrung zugrunde lag, war ein ebenso theoretisches wie regnerisches: Wolkenbruchartige Regenfälle, die mich auf dem Radweg Richtung Funkhaus überraschen, um nicht zu sagen überfluten an einem Tag, an dem ausgerechnet die Regensachen zuhause geblieben sind. Die Ersatzhose wäre dann die Rettung. Aber was ist diese hypothetische Überlegung gegen das tatsächliche Grauen, das mich heute am Mittagstisch heimsuchte, an einem Tag, an dem ich vergleichsweise hellblauen Stoff für untenrum gewählt hatte?

Also, es gab unter anderem Champignons. In Sahnesoße. An frittierten Kartoffelstiften, dazu panierte Scheiben aus der Schweinekeule. Einer dieser Champignons jedenfalls widersetzte sich keck den Zinken meiner Gabel, hüpfte gen Tellerrand, vollführte dort noch eine hämische Pirouette, um sich dann kichernd in meinen Schoß zu stürzen. Dort hinterlassen Pilze in bräunlicher Tunke äußerst unvorteilhafte Fleckchen an äußerst unvorteilhaften Stellen. Auf jeden Fall sind es Farberscheinungen auf der eigenen Hose, die niemand gern erklären mag. Und wie glaubhaft und gleichermaßen verstörend wäre es eigentlich, auf fragende, irritierte Blicke von Kollegen reagieren und sagen zu müssen: “Es ist nicht das, wonach es aussieht. Es ist vielmehr so: Ich hatte da nen Pilz.”

Insofern wäre der Tag für mich gelaufen gewesen. Ich erinnere mich noch an den verheerenden Senfei-Saucen-Zwischenfall vor einigen Jahren, der damals – und das war schlimm genug – gelbe Spuren auf meinem ansonsten blütenweißen Hemd hinterlassen hatte. Also habe ich seitdem nicht nur ein Ersatzhemd, sondern auch eine Ersatzhose im Fundus. Heute war ihr Tag. Ich musste nur ein wenig länger am Tisch sitzen bleiben als gewöhnlich, um die schlimmsten Spuren einigermaßen wegtrocken zu lassen. Aber: Irgendwas bleibt ja immer hängen. Und selbst ein leichter Schatten dieses Champignon-Desasters reicht ja manchmal schon aus, um noch Jahre später Gegenstand überbordender Berichte im Kollegenkreis zu sein. Dann erzählen die Altvorderen in bunt schillernden Worten von Begebenheiten, die so lange zurückliegen, dass sie im Nebel der Mythen und Ergänzungen zu verschwimmen scheinen. Jedenfalls bin ich froh, dass ich nicht derjenige bin, der damals ausgerechnet im denkbar ungünstigsten Moment ebenso plötzlich wie unabwendbar niesen musste, als er bei Tisch gerade den Mund voller Hühnerfrikassee hatte.

Also schlug ich mich wenig später hastig durch zum Schrank im Umkleideraum, wo ich nur die Ersatzhose aus der Ablage ziehen musste, um wenig später arg- und tadellos wieder an die Öffentlichkeit zu treten. Nun darf ich morgen bloß nicht versäumen, eine neue Ersatzhose im Büro zu deponieren. Eine Ersatz-Ersatz-Hose gibts schließlich nicht. Und ja: Eine Serviette wäre auch eine Lösung gewesen.