WDR5 Politikum – Der AB von Diekmann by Malotki
Bis wann hält der oberste Repräsentant der Bundesrepublik noch aus? In den Redaktionen reichen die Spekulationen von “nur noch bis heute Abend” bis “Freitag”. Der Schwerpunkt liegt auf “morgen”.
Christian Kohlhof | Rostock, Schwerin
WDR5 Politikum – Der AB von Diekmann by Malotki
Bis wann hält der oberste Repräsentant der Bundesrepublik noch aus? In den Redaktionen reichen die Spekulationen von “nur noch bis heute Abend” bis “Freitag”. Der Schwerpunkt liegt auf “morgen”.
Sonntage sind gute Tage, um einen Skandal zu starten. Wenn die Beschuldigten einen freien Tag genießen wollen, haben andere wiederum Zeit, sich ausführlich mit erschütternden Neuigkeiten zu beschäftigen. Vielleicht ist genau das ein Grund, warum gerade heute die Tatsache publik wird, dass es angeblich ein staatliches Schnüffelprogramm gibt, das auf Windowsrechnern viel mehr macht, als es Verfassungsrichter einst gestattet haben – und das dazu auch noch von technisch wohl eher lausiger Qualität.
Kaum jemand unter den durchschnittlichen Computernutzern und Internetsurfern kann wohl beurteilen, wie man ein gutes Schadprogramm, einen Keylogger, Trojaner oder was auch immer schreibt. Trotzdem ist die Aufregung natürlich groß. Und keine Frage: Wenn das stimmt, was der Chaos-Computer-Club da behauptet, dann haben wir es hier in der Tat mit einem riesigen Datenschutz- und Justiz-Skandal zu tun. Aber wenn man sich das alles so durchliest, dann kommen doch ein paar Fragen auf:
1.) Was genau haben denn die Leute vom CCC da analysiert? Worauf beruht ihre Behauptung, dass es sich um eine von staatlichen Stellen in Auftrag gegebene und dann auch von ihnen eingesetzte Software handelt. In den Analysen der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, aber auch im Text des CCC selbst fehlen diese Angaben.
2.) In der FASZ wird erwähnt, dass der CCC rechtzeitig vor der Veröffentlichung seiner Analyse das Bundesinnenministerium informiert habe, um laufende Ermittlungen nicht zu gefährden. Das ist nett, warum taucht dann aber in dem journalistischen Text der FASZ keine Stellungnahme des Innenministeriums auf. Es ist anzunehmen, dass die Redaktion nicht erst gestern Abend von diesen massiven Vorwürfen erfahren hat und deshalb wohl Zeit genug war, die Beschuldigten um eine Stellungnahme zu bitten. Die journalistische Fairness und die Sorgfaltspflicht schließen dies eigentlich mit ein und setzen die Möglichkeit zur Stellungnahme sogar voraus. Und selbst wenn das Innenministerium nicht antworten wollte, ist ein Hinweis “… wollte sich nicht äußern” unverzichtbar. Seltsam. Reaktionen des Innenministeriums finden sich erst Stunden später. Kein Wunder es ist ja Sonntag.
3.) Wer ist also Urheber oder Absender des vermeintlich amtlichen Trojaners? Und warum ist der dann auch noch so lausig programmiert, wie es der CCC behauptet. Warum ist der Trojaner so schlecht geschützt, warum nutzt er vergleichsweise schwache Verschlüsselungstechniken? Warum verwischt er seine eigenen Spuren nicht besser? Warum begeht er gleich Rechtsbruch in mehrfacher Hinsicht – und das für Fachleute offenbar so offensichtlich? Wollte der Trojaner möglicherweise entdeckt werden? (und erklärt sich damit auch der Humor der unbekannten Programmierer, eine Variable oder Routine oder was auch immer es ist, ausgerechnet der Jahreszeit entsprechend “0zapftis” zu nennen – sozusagen digitales Oktoberfest auf angezapften Rechnern?)
4.) Wie sicher ist sich der CCC selbst, was er da auf dem Silbertablett serviert bekam? Auf der eigenen Internetseite heißt es noch vollmundig “Chaos-Computer-Club analysiert Staatstrojaner […] Der Chaos Computer Club (CCC) hat eine eingehende Analyse staatlicher Spionagesoftware vorgenommen”, während es in der dazu verlinkten 20-seitigen Analyse viel vorsichtiger formuliert heißt: “Dem Chaos Computer Club (CCC) wurde Schadsoftware zugespielt, deren Besitzer begründeten Anlaß zu der Vermutung hatten, daß es sich möglicherweise um einen ,Bundestrojaner’ handeln könnte.” Irgendjemand vermutet – und scheint dafür wohl gute Gründe zu haben – dass es sich “möglicherweise” und einen in Anführungsstrichen Bundestrojaner handeln könnte. Mehr Konjunktiv und Einschränkungen in einem einzigen Satz sind fast nicht möglich. Natürlich kann die Vermutung naheliegen, dass es sich um ein staatliches Projekt handelt. Aber: Beweise fehlen.
5.) Die FASZ berichtet von aktuellen Ermittlungs-Verfahren, in denen angeblich Fahnder angeblich digitale Dokumente vorgelegt haben, an die sie nach geltendem Recht gar nicht hätten gelangen dürfen, also Dateien aus Überwachungen, die über die Quellen-TKÜ hinausgehen. Den Ermittlern dürfte in diesem Fall klargewesen sein, dass sie unrechtmäßig erlangtes Beweismaterial benutzen, warum sollten sie so etwas öffentlich machen, was einerseits ihre (illegalen) Methoden beweisen würde und andererseits vor Gericht ja wohl überhaupt keinen Wert haben dürfte. Sollten die tatsächlich so doof sein?
Was nun passiert, war vorherzusehen. Der Aufschrei war irre laut. Kaum jemand kann zum jetzigen Zeitpunkt beurteilen, was tatsächlich Sache ist – aber schon jetzt gibt es Forderungen, der BKA-Chef müsse zurücktreten. Justiz-Ministerinnen reagieren empört. Und bei heise.de gibt es schon über 1300 Leser-Kommentare zur Bundestrojaner-Meldung.Wenn stimmt, was der CCC behauptet, dann geschähe es allen Ertappten nur recht, dass sie sich für dieses weitreichende Überschreiten aller höchst-richterlich gesetzten Schranken rechtfertigen und vor allem verantworten müssten. Aber wenn es nicht stimmt, dann müsste der Aufschrei darüber genau so groß sein – dann wäre das alles nur eine Kampagne.
Die sonntägliche Aufregung wird sich kaum noch eindämmen lassen und durch die ganze Woche ziehen. Die Medienmaschine läuft. Unabhängig davon ist es schon interessant zu wissen, in wie vielen Fällen bundesdeutsche Ermittlungsbehörden schon fremde Computer ausspioniert haben und zu welchen Ergebnissen dies schließlich führte.
Die Leute vom CCC sind äußerst ernst zu nehmende Fachleute. Sie haben in ihrer Analyse klar beschrieben, dass der von ihnen entdeckte Trojaner einfach so Dateien auf seinem Wirtscomputer ablegen kann – und niemand wird später beweisen können, dass es der Trojaner war und nicht der Eigentümer des Rechners, der diese Dateien da abgelegt hat. Da kann einem also belastendes Material untergeschoben werden, das Unbescholtene zu Verdächtigen macht. Was, wenn auch die vom CCC analysierte Software so etwas Ähnliches ist? Wenn also jemand ein staatliches Schnüffelprogramm “aufgebohrt” und so erweitert hat… und niemand wird das später beweisen können…
So genau der CCC auch erklären kann, wie der digitale Schnüffler funktioniert – mindestens genauso viele Fragen lässt diese Geschichte trotzdem offen.
Das Blablameter ermittelt den Bullshit-Index für beliebige Texte. Ein Test mit eigenen Texten und mit zwei Artikeln von CDU und SPD zu den gescheiterten Hartz-Vier-Verhandlungen
Wieviel heiße Luft steckt in einem Text? In diesem zum Beispiel? Oder in der Pressemitteilung der Deutschen Bank? Das alles soll man messen können – auf der Internetseite www.blablameter.de. Dort kann man beliebigen Text einkopieren, lässt ihn checken und bekommt einen Wert zurück. Je höher, umso mehr “Bullshit” enthält der Text angeblich. Nun denn: Versuchen wir es mit folgendem Absatz:
kohlhof.de hat sich in den vergangenen Stunden überdurchschnittlich verbessert. Das Blog erscheint jetzt in einem moderneren Layout, das den Besuchern die Übersicht erleichtern soll. Dazu hat Christian Kohlhof ein eigenes Design entwickelt, das durch zahlreiche einzigartige, hochwertige Grafiken optimiert wird. kohlhof.de bietet weiterhin brilliante Texte, Analysen und Stellungnahmen zu einer besonders vielfältigen Anzahl von Themen. Top-aktuell, schnell, genauestens und regelmäßig.
Und das ist das Ergebnis der automatischen Analyse:
Bullshit Index :0.49. Ihr Text riecht schon deutlich nach heisser Luft – Sie wollen hier wohl offensichtlich etwas verkaufen oder jemanden tief beeindrucken. Für wissenschaftliche Arbeiten wäre dies aber noch ein akzeptabler Wert (leider).
Tja nun. Mal sehen, was das Script von meiner entschärften Variante hält: „Blabla messen“ weiterlesen
Thilo Sarrazin scheint mir ein seltsamer Mensch zu sein. Er wirkt auf mich verwirrt, wenn er von speziellen Genen spricht, die einige angeblich haben und andere wiederum nicht oder über Kopftuchmädchen und doofe Einwanderer… also, nee. Das wirkt schon auf den ersten Blick oberflächlich, populistisch und überhaupt: nicht weit genug gedacht. Es klingt nach Stammtisch – unheimlich und gefährlich. Und dann gestern auch noch diese Pressekonferenz, die der private Nachrichtensender N24 sogar live übertragen haben soll. Sarrazin wundert sich im Blitzlichtgewitter, dass es schon so viel Aufregung um sein Buch gibt, wo er es doch gerade erst der Öffentlichkeit vorstellt. Hat niemand Thilo Sarrazin gesagt, dass a) Verlage üblicherweise Ansichtsexemplare an Buchhändler und Rezensionsexemplare an Journalisten verschicken (und zwar Wochen vor dem Veröffentlichungstermin) und vor allem b) dass Spiegel-online und Bild.de Auszüge aus Sarrazins Werk vorab veröffentlicht haben?
Zurück zu den seltsamen Behauptungen, mit denen der Bundesbankvorstand ja auch in zahlreichen Interviews nicht zurückhaltend war: Auf tagesschau.de gibt es einen Faktencheck zu Sarrazins Thesen. Das Ergebnis überrascht den gesunden Menschenverstand jedenfalls in keiner Weise.
Link zur Radioglosse von Peter Zudeick zum Thema “Sind Ossis eine ethnische Minderheit?”
Zum Stuttgarter Urteil zur Frage, ob Ossis eine ethnische Minderheit sind, hat sich Radiokolumnist Peter Zudeick heute entscheidende Gedanken gemacht – und dabei auch gleich noch den Juristen an sich ordentlich einen mitgegeben. Die Rubrik “Auf ein Wort – Sind Ostdeutsche eine Volksstamm” von heute Abend (auf der Seite von ndr-info). Sehr schön.
Ja, und wenn Sie in den vergangenen Tagen und Wochen die legendäre Wende-Pressekonferenz mit Günter Schabowski noch nicht oft genug gesehen haben: Beim Deutschen Rundfunkarchiv können Sie sich die entscheidende Passage ansehen, immer wieder.
Na, das ist doch mal ne Suchanfrage – und der erste Treffer führt bei google gleich hierher zu kohlhof.de: “Wie muss ich heute beflaggen” wollte jemand wissen – ein Antwort darauf gibt es hier zwar nicht, aber auch so kann deutlich werden, dass heute ein besonderer Tag ist. Allerdings dürfte klar sein, dass Privatleute heutzutage nicht mehr verpflichtet sind, an gewissen Jahrestagen Flaggen aufzuziehen. Diese Idee fand mit dem Ende der DDR ihr Ende – auch wenn an manchen Haustüren und Fensterrahmen noch die Halterungen für Fahnen und Flaggen zu erkennen sind. Und wenn man das unbedingt möchte: “wie” man eine Flagge aufhängt, und vor allem, welche, ist doch eigentlich klar, oder? Schwarz oben, Gold unten – und bitte die Flagge ohne Adventskranz in der Mitte nehmen…
Der 20. Jahrestag des Mauerfalls ist der Tag der Geschichte – und der Geschichten, von denen jeder seine ganz eigene erzählen kann. Hier sind einige meiner Erinnerungen an den Tag des Mauerfalls 1989 und an die Wochen danach. Zum Beispiel die kurze Geschichte von den drei Spaziergängern aus dem Osten, die am Gustav-Radbruch-Platz in Lübeck auf dem Radweg schlenderten in jener Novembernacht 1989. Und als ich da angeradelt kam und klingelte, sprangen diese drei Menschen zur Seite und die Frau rief mir entschuldigend hinterher: “Hach, wir müssen noch so viel lernen.” Ein bemerkenswerter Satz, der wohl nur gesagt wurde, weil in der Freude über das Unfassbare auch noch ein bisschen Verunsicherung mitschwang. Das war jedenfalls meine erste Begegnung mit Ossis auf Westbesuch.
Oder die Geschichte von der kurzen Brieffreundschaft mit Annette aus Wismar-Dargetzow: Der Kontakt ist nach ein paar Briefwechseln wieder eingeschlafen. Annette war mit ihrem Freund ein paar Tage nach der Grenzöffnung ins Katharineum gekommen, wo Schüler, Eltern und Lehrer an einigen Sonnabenden einen Basar mit gespendetem Spielzeug, Kleidung sowie Kaffee und Kuchen auf die Beine gestellt hatten. Sie haben sogar mal bei uns in der Hansestraße übernachtet, wenn mich nicht alles täuscht.
Dann gibt es auch noch die Geschichte von der jungen Familie aus Mecklenburg, die in der Lübecker Innenstadt Brigitte und Werner trafen. Deren Sohn war ein paar Monate zuvor gestorben – jetzt, mit der Zufallsbekanntschaft irgendwo im Trubel zwischen St. Jakobi und Dom, hatten die trauernden Eltern eine gute Möglichkeit gefunden, mit dem gesamten Spielzeug, das bis dahin immer noch im Kinderzimmer stand, anderen noch eine Freude machen zu können.
Und dann war da das kleine Mädchen im Vorgarten einer Mietskaserne zwischen Herrnburg und Utecht – auf jeden Fall im Sperrgebiet, also dort, wo bis zum 9. November 1989 niemand einfach so mal Gäste haben durfte, weil die fünf Kilometer vor der eigentlichen Grenze zum Westen ein isloierter Bereich waren. Und dieses Mädchen hat uns eingeladen, als wir bei einer Radtour durchs Dorf fuhren: “Mutti, wir haben Besuch!” Wir haben also bei vollkommen Unbekannten im Wohnzimmer gesessen – und haben als Erinnerung zwei Packungen Würfelzucker bekommen. Die Zuckerstücke waren teilweise hellblau und hellrosa und hatten die Formen von Spielkartensysmbolen.
Und, welche ganz besonderen Erinnerungen haben Sie an die Wende?
Notruf aus Lettland: “Christian, unser Unternehmen will der deutschen Botschaft einen Brief zum 3. Oktober schicken. Wie sagt man: Herzlichen Glückwunsch zum Tag der Deutschen Einheit? Oder Herzliche Grüße?” – Tja, das diplomatische Parkett ist ein äußerst glattes, da will man ja ungern was Falsches sagen. Nach längerem Überlegen kam ich zum dem Schluss, dass “Herzliche Glückwünsche” durchaus passend klingt. Wie sind hier die Meinungen?