Aktiv auf den Arm genommen

Stillstand ist Rückschritt, wer rastet der rostet, jaja. In unserer schnellen Zeit, in der Trends so fix verschwinden wie sie kommen, in der heute out ist was morgen in ist, da ist Bewegung, Fortschritt, Mithalten, Aktion alles. Und das wird in einem einzigen Wort deutlich, das ganz aktiv die deutsche Sprache zu verpesten scheint: aktiv.

“Dann können die Kinder aktiv entscheiden, ob sie in die Sonnenblumengruppe gehen oder bei den Schmetterlingen mitmachen”, sagt die stolze Kindergartenmutter. Nebenan sagt der Sonnenstudio-getunte Handyverkäufer: “Da können Sie dann aktiv wählen zwischen dem Call-Dings und dem Prepaid-Bums.” Wie schön. Gegenüber in der Backwarenverkaufsstelle empfiehlt die kleine Blonde hinter der Theke: “Milch und Zucker für ihren Kaffe dürfen sie sich aktiv am Service-Point nehmen.” Mal abgesehen vom Dienstleistungs-Punkt: Wie denn sonst soll man selbst einen Tarif wählen oder koffeinhaltige Heißgetränke süßen? Passiv? Warten, bis das Mobiltelefon selbst einen Abrechnungsmodus wählt oder der Zucker aus der Dose, am Milchtopf vorbei den Becher außen hoch in den Kaffee klettert?

Es sind wohl Globalisierungsverlierer, die noch gar nicht wissen, dass sie Globalisierungsverlierer sind, die mit dem häufig und überflüssig eingestreuten “aktiv” in auch ansonsten eher nebensächlichem Sätzen ihre schwindende Bedeutung als ganz kleines Zahnrad im weltweiten Menschlein-Gefüge kaschieren wollen. Wer von ihnen hören muss, dass sie alles ganz aktiv machen, der soll ihnen glauben, dass sie die Kontrolle behalten haben im Gewirr aus Handytarifen mit 77 Fußnoten, im Meer der Kaffeesorten und -aromen, bei der Wahl der richtigen Krankenversicherung. Was bei der Wahl eines Cappuccino noch gut gehen beziehungsweise folgenlos bleiben kann, das muss bei der Wahl des richtigen Stromanbieters, des besten Postdienstes nicht zum Spar-Erfolg führen.

Wenn Unternehmen ihren Kunden jede Wahl überlassen, dann ist das zweifellos sehr freundlich, wenn allerdings die kompetente Beratung fehlt – wem nützt das dann? Dem Kunden jedenfalls nicht, der ganz aktiv selbst den Knebelvertrag gewählt hat. Er hat sich ja selbst entschieden. Wer also glaubt, unabhängig zu sein, weil er alles ganz aktiv entscheidet, der hat sich ganz passiv täuschen lassen von Werbeversprechen, die nur verdecken sollen, dass viele Konzerne gern bei der Beratung sparen wollen. Ganz aktiv haben die Konzerne da Kosten reduziert.

Und alle sind – ganz aktiv – glücklich.

Autor: Christian

Der Verfasser aller Beiträge auf kohlhof.de