Vor 20 Jahren: Der Brandanschlag von Lübeck

Am 18. Januar 1996 starben zehn Menschen nach einem Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim in Lübeck. Ich habe das als junger Zeitungsreporter miterlebt. Es gibt einige Eindrücke, die mich bis heute nicht loslassen.

Der Anruf vor 20 Jahren wird in etwa genau um diese Zeit gekommen sein, vielleicht so gegen 4:30 Uhr morgens: „Herr Kohlhof, es gibt ein Großfeuer mit mehreren Toten. Fahren Sie da bitte mit hin?“ Am frühen Morgen des 18. Januars 1996 erlebte ich in Lübeck ein Ereignis mit, das mit zu den erschütterndsten gehört, über die ich als Reporter je berichtet habe: Der Brandanschlag auf das Asylbewerberheim an der Lübecker Hafenstraße mit zehn Toten.

Die Brandruine an der Lübecker Hafenstraße. In dem Feuer in der Asylbewerberunterkunft starben zehn Menschen. Wer für den Brandanschlag verantwortlich ist, ist bis heute nicht geklärt. Foto: By 1970gemini (Own work) [CC BY-SA 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], via Wikimedia Commons
Wie ein verkohlter Baumstumpf, irgendwie gebrochen, unnatürlich angewinkelt, verkrampft – so sah das aus, was dort oben auf der Bahre lag. Feuerwehrleute zogen sie gerade behutsam aus einer rußgeschwärzten Fensterhöhle auf ihren Leiterkorb. Am Tag nach dem verheerenden Feuer muss das gewesen sein. Die Rettungskräfte bargen die Opfer des verheerenden Feuers.

Als mich am frühen Donnerstag vor 20 Jahren der Anruf der stellvertretenden Ressortleiterin geweckt hatte, da tobte im Wohnhaus an der Hafenstraße schon die Hölle auf Erden. Kinder sollen oben an den Fenstern gestanden haben, riefen um Hilfe, hinter sich die Flammen – und dann zündete das Feuer durch…

Die Lübecker Feuerwehr hatte alles aufgeboten, was an technischem Gerät verfügbar war. Ein alter Drehleiterwagen kippte um, als Feuerwehrleute gerade Menschen vor dem wütenden Feuer retteten.

Als ich am brennenden Haus ankam, da waren die Kollegen aus der Lokalredaktion schon da. Mein Auftrag: beobachten, aufschreiben, Informationen beisteuern für die Berichte am nächsten Tag in den Lübecker Nachrichten (LN).

An viele Details erinnere ich mich jetzt nicht mehr. Erschütterte Rettungskräfte, verzweifelte Menschen, die sich hatten retten können. Ich war gerade mal 20 Jahre alt, mein Volontariat bei den LN  sollte in gut zwei Monaten beginnen. Ich war freier Mitarbeiter in der Lokalredaktion. Streit um die Verkaufstermine von Silvesterkarpfen, ein Bericht über den 3D-Filmclub, Flottenbesuch an der Untertrave – darüber hatte ich in den Wochen zuvor geschrieben. Und über viele Ereignisse, die auch tragisch waren: verunglückte Bauarbeiter zum Beispiel, Wohnungsbrände, Unfälle. Aber noch nie zuvor hatte ich so etwas erlebt wie an der Hafenstraße.

Irgendwann am frühen Morgen saß ich zwischendurch bei einem Kollegen aus der Fotoredaktion im Auto. Wir wärmten uns auf. Normalerweise plaudert man dann. An diesem Morgen tauschten wir nur die neuesten Eindrücke und Infos aus, dann schwiegen wir, während die Brandruine qualmte, Blaulichter zuckten, Rettungswagen abfuhren, Stadtwerkebusse die Überlebenden Richtung Krankenhaus brachten.

In einem dieser Busse ist zu dieser Zeit dann wohl ein Satz gefallen, der sich einreiht in eine lange Reihe von Ungereimtheiten rund um das Feuer an der Hafenstraße. Ein Sanitäter sagt später aus, einer der geretteten Hausbewohner habe ihm im Bus etwas gesagt, das so klang wie „wir waren’s“.

Da hatten Polizisten aber auch schon die Personalien von drei jungen Männern aus Grevesmühlen aufgenommen, die in der Nähe standen und beobachtet hatten, was passierte. Augenbrauen und Wimpern leicht versengt. Zufall? Sie wurden der rechtsextremen Szene zugerechnet. Die Beamten verhafteten schließlich sogar vier Männer – allerdings hatten sie alle ein Alibi.

Das vermeintliche Geständnis des Hausbewohners im Bus hielt keiner gerichtlichen Überprüfung stand. Über zwei Instanzen. Sogar die Staatsanwaltschaft hatte vor der Jugendkammer am Landgericht schließlich Freispruch gefordert.

Und die jungen Männer mit ihren verkohlten Haaren? Stimmen ihre Aussagen, dass einer von ihnen zum Beispiel gerade im Tank seines Mopeds nachgesehen hatte, wie viel Sprit drin ist – mit einem Feuerzeug? Niemandem ist es gelungen, die Verbrennungen beweissicher in Zusammenhang mit dem Feuer im Haus der Asylbewerber zu bringen.  Nur dies steht fest: Das Feuer wurde absichtlich gelegt. An einer, wenn nicht sogar an zwei Stellen.

Das Schluchzen. So hilflos, so laut, so traurig. Das Schluchzen, vielmehr ein Aufjaulen eines Vaters, der seine Familie in den Flammen verloren hat. Er weinte einfach nur – und hunderte Menschen im Lübecker Rathaussaal schwiegen. Wie sollte man diesem Mann jetzt auch gerade helfen. Irgendwer hatte es für eine gute Idee gehalten, den Mann am Tag nach dem Feuer zu einer Informationsveranstaltung einzuladen. Das Schluchzen rührte fast jeden zu Tränen.

20 Jahre ist das her – manchmal meine ich auch jetzt noch, dieses Schluchzen zu hören. Oft dann, wenn ich lesen muss, dass schon wieder irgendwo ein Flüchtlingsheim gebrannt hat. Oder wenn Demagogen gegen Flüchtlinge hetzen, scheinheilig, weil sie ja „nur“ reden würden. Und dann applaudieren diejenigen, die so gern glauben würden, dass es tatsächlich für jeden Sachverhalt einfache Lösungen gibt. Und dann steht irgendwo ein Trottel auf und füllt eine Flasche mit Benzin…

Unabhängig davon, wer nun tatsächlich für den Feuertod von zehn Flüchtlingen in Lübeck im Januar 1996 verantwortlich ist, vor allem aber angesichts des Leids, dessen Zeuge ich wurde: Mir fehlt schlicht die Vorstellungskraft, dass Menschen die Idee haben können, einen Brandanschlag verüben zu müssen.

Beitrag zum Jahrestag des Brandanschlags im NDR-Fernsehen

Artikel aus dem Spiegel von 1996 über den damaligen Ermittlungsstand gegen den verdächtigten Hausbewohner

Wikipedia-Eintrag zum Lübecker Brandanschlag

Zusammenfassung auf zeit.de

Sendemanuskript des DLF zur Rekonstruktion des Falls vom 6. Februar 2015

Dossier der Lübecker Nachrichten zum Jahrestag des Brandanschlags