Sehe gerade etwas Faszinierendes im Fernsehen: La Traviata im Hauptbahnhof, live auf arte. Der Kulturkanal überträgt die Verdi-Oper direkt von den Bahnsteigen und aus den Verkaufshallen des Hauptbahnhofes in Zürich. Ein Imbiss ist dabei ebenso Kulisse wie ein Gepäckwagen oder ein Fahrkartenschalter.
So sah man eben schon die männliche Hauptrolle Rolltreppe fahren und in einen Zug steigen, der dann auch abfuhr.
Dazwischen stehen tausende zufällige Zuschauer, also Pendler, Fernreisende, von denen man viele aufgeregt telefonieren sieht. Andere hasten durchs Bild, weil sie noch schnell einen Kaffee beim Bäcker kaufen wollen, im Hintergrund flimmern Werbetafeln, ein Zugschaffner fertigt zwischen zwei Sätzen noch schnell einen Intercity ab. Dass sie alle an diesem Abend ausgerechnet in einer zugigen Bahnhofshalle Teil einer live im Fernsehen übertragenen Operninszenierung werden, damit haben wohl nur wenige gerechnet.
Natürlich geht es um Liebe, um unglückliche selbstverständlich – und das alles auf Italienisch, mit Untertiteln. Kurz zusammengefasst: Junge aus gutem Hause liebt Mädchen aus durchschnittlichem Hause, welches überdies aber leider auch sterbenskrank ist. Familie von Mann will das junge Liebesglück beenden, sät Zwietracht. Die Verwirrungen daraus reichen für eine fast dreistündige Fernsehübertragung (mit Pausen).
Sehr interessante Art von Fernsehen – ein spannendes Experiment, das sehr gut zu gelingen scheint. Die Logistik, die dahinter steckt, mag man sich gar nicht vorstellen, wenn ein Opernensemble samt Orchester einen Hauptbahnhof mit über 20 Gleisen als Kulisse nutzt und das alles noch im Fernsehen übertragen werden muss, während der Verkehr auf dem Bahnhof ganz normal weiterläuft und die meisten Zuschauer gar nicht ahnen, dass sie Zuschauer werden, bis sie plötzlich zwischen Fahrscheinautomat und Bahnsteigkante mitten drin sind. Besonders beeindruckend sind die Einblendungen der Spidercam, die Kamerafahrten nahezu durch die gesamte Bahnhofshalle erlaubt, weil sie wie eine Spinne an Seilen unter dem Bahnhofsdach hängt. Schiefgehen, so sagte es der Opernregisseur in einer Pause, könne eigentlich nichts: nur ein Stromausfall oder ein Meteoriteneinschlag könnten jetzt noch die Oper im Bahnhof im Wortsinn aus der Bahn werfen. Auf der Internetseite gibt es Hintergründe zu diesem Fernseh-Höhepunkt.
Wie das wohl in Rostock aussehen würde. Das Ensemble des Volkstheaters im S-Bahn-Tunnel unterm Hauptbahnhof?