“Bei Karstadt …”

“… ist heute gar nichts passiert” ist ein Satz, der in die Familiengeschichte eingegangen ist. Ja, er ist von mir. Ich werde so etwa vier, fünf Jahre alt gewesen sein. Ich hatte aus purer Neugier am Nachmittag, beim Einkaufsbummel an der Hand meiner Mutter mit meiner freien Patschehand einfach mal den Notausknopf an der Rolltreppe bei Karstadt in Lübeck gedrückt. Das Geruckel auf den Stufen, die Hektik, die Entpörung im Kaufhaus zwischen Herrenausstattung- und Elektro-Etage Anfang der 80er Jahre kann man sich vorstellen. Irgendein Monteur schmiss die Fahrtreppe wieder an, während meine Mutter noch Ausdrücke des Bedauerns die Treppe hinaufrief.
Abends, als mein Vater nach Hause kam, wusste ich, dass ich in die Offensive gehen musste, bevor irgendwelche peinlichen Fragen auftauchten. Also sagte ich noch im Treppenhaus – und versuchte, es wie nebenbei klingen zu lassen – oben zitierten Satz: “Papi, bei Karstadt ist heute gar nichts passiert.”
Man wird sich denken können, dass dieser Schuss nach hinten los geht. Erwachsene denken einfach nicht mit und fragen trotzdem nach.
Das ist lange her. Auch heute stimmt dieser Satz nicht – allerdings versucht auch niemand zu verheimlichen, dass heute bei Karstadt nicht bloß eine Rolltreppe kurz angehalten wurde. Der Mutterkonzern Arcandor hat Insolvenz angemeldet.
Die Rolltreppen rollen zwar weiter, die Kassen klingeln noch. Aber die Frage, die hinter dieser Entwicklung des Mutterkonzerns mitschwingt ist, ob Kaufhäuser wie Karstadt angesichts von globalem Internethandel und spezialisierter Online-Shops überhaupt noch zeitgemäß sind. Und wenn es diese Kaufhäuser nicht mehr wären, was würde das dann im selben Atemzug mit dem Einzelhändler in der Fußgängerzone passieren? haben die mit einer qualifizierten Beratung, einem guten Service und täglicher Erreichbarkeit überhaupt noch eine Chance, wenn gleichzeitig die Billigheimer stets Boden gewinnen wollen – mit einer wöchentlichen Prospektwelle in den Briefkästen?
Wann waren Sie zuletzt in einem Warenhaus, wann bei einem regionalen Einzelhändler? Und wann haben Sie zuletzt etwas in einem Internethandel gekauft?
Meine neueste Jeans ist von Karstadt, ich besitze sie seit vier Wochen, die letzten beiden Bücher habe ich vor ein paar Tagen im zentral gelegenen Fachhandel erworben. Die Speicherbausteine für Laptop und PC und auch der MP3-Player kamen nach einer Online-Bestellung per Post in eine Packstation ….

Autor: Christian

Der Verfasser aller Beiträge auf kohlhof.de

3 Gedanken zu „“Bei Karstadt …”“

  1. Schon meine Oma ermahnte uns, bei Karstadt einkaufen zu gehen, schließlich gäbe es dort alles. Hmm, heute frage ich mich, ob nicht genau dies das Problem ist. Ich hab es noch nie bei Karstadt geschafft, eine Jeans zu kaufen. Trotz voller Kleiderständer war entweder meine Größe nicht aufzutreiben, keine helfende Verkäuferin in der Nähe oder aber schlicht der Stil nicht zu mir passend. Mein Schicksal muss ja nicht für jeden zutreffen, aber allein der Gedanke in ein großes Kaufhaus (nicht nur Karstadt!) zu gehen, weckt bei mir die Frage, was ich dort eigentlich einkaufen sollte. Kleidung, Schuhe und Bücher suche ich lieber im Fachhandel, Elektronik bestelle ich lieber im Netz. So leid es mir tut, aber ich fürchte, das gute, alte “Allround”-Kaufhaus hat lange ausgedient, allein schon der fehlenden Spezialisierung wegen. Die ständige Verfügbarkeit sämtlicher Produkte und die Vergleichbarkeit der Preise tun ihr übriges. Leider…

  2. :-)))
    den “satz” hab ich auch gestern beim nachrichten gucken zitiert!
    sach einer ich denk nicht an dich ;-) !

  3. Da muss ich Locke leider ein bisschen Recht geben. Bin ich mal im Kaufhaus, muss ich nach Personal suchen … Und es ist eben leider der Lauf der Zeit: das Internet. Es gibt keine Branche, die davon verschont wird. Billiger setzen kann man in Indien (was nur mit Internet und auf keinen Fall auf dem Postweg möglich ist, PDFs erhält der Autor in Japan innerhalb der nächsten Stunde, Papier will die Herstellerin vom Verlag nicht mehr horten – ach schicken Sie doch schnell eine PDF, ja und der nächste Auftrag kommt per Mail). Bücher (privat) lässt man sich vom Internetanbieter herstellen (genauso toll wie in der Druckerei und der Preis ist überhaupt nicht zu vergleichen) und amazon und ebay tun ihr Übriges. Und wie viele schließen heute ihre Hausrat- oder sonstige Versicherung ebenfalls online ab? Und überhaupt habe ich auch schon bei Quelle bestellt – übers Internet, klappt hervorragend. So ist das nun mal und damit müssen alle zurechtkommen, alle!

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