Es ist schon ein paar Tage her, dass ich beim Grillen eine seltsame Geschichte zu hören bekam und an deren Ende ich mal wieder – ohne es hier an eine zu große Glocke hängen zu wollen – als Retter in der Not dastand. Wir saßen gerade mit fetttriefenden Fingern in geselliger Runde, als ein gewisser Carsten einfach so ins Blaue hinein fragte, ob denn jemand Lego-Steine hätte. Er hatte diese Frage wohl schon öfter bei ähnlichen Gelegenheiten gestellt. Jedenfalls machte er nicht den Eindruck, als würde er eine positive Antwort erwarten. Umso erstaunter war sein Gesichtsausdruck, als ich kundtat, dass ich schon im Besitz des einen oder anderen Steinchens wäre.
Dann ging’s los, Carsten erzählte eine fantastische Gesichte, die ich als “Mischung aus Star Wars und McGyver” kategorisieren möchte. Darin ging es um Computer-Lautsprecher, die so aussehen würden wie der Helm von Darth Vader (”Luke, ich bin Dein Vater”) und die er mit Hilfe traditioneller Spielzeugteile und ein bisschen handwerklichem Geschick (”ich bastel’ da mal was”) in ein Unikat zu verwandeln gedachte. Das alles habe den Zweck, seiner Freundin eine unglaubliche Freude zum Geburtstag zu machen – perfekt wäre es, wenn das Lichtschwert auch tatsächlich leuchten würde.
Man muss derlei Geschichten nicht auf Anhieb verstehen, Hauptsache, man kann helfen. Ich jedenfalls hatte noch nicht durchschaut, was das alles mit Lego zu tun hat. Vor lauter Begeisterung – und weil er sich so unglaublich kurz vor dem Ziel wähnte – fasste Lego-Carsten atemlos noch einmal die wesentlichen Punkte zusammen: “Überraschung … bauen … Lego-Männchen, schwarz … Star Wars …. Computer-Boxen … brauche einen Zweier, einen flachen, schwarz. … Stromleitung hindurch … Licht! … Lichtschwert!! …. Auf Computer-Lautsprecher stellen … irre … Wahnsinn!”
An Grillfleisch dachte in diesem Moment wohl niemand mehr. Während die Würstchen auf dem großen Teller in der Mitte des Tisches langsam auskühlten, der Salat sich in einem unbeobachteten Moment schon anschickte, ein bisschen vor sich hin zu welken und das Flaschenbier sein letztes Kohlensäurebläschen aushauchte, blickten wir Carsten gebannt mit einer Mischung aus Faszination und Skepsis an. Er wiederum senkte den Blick – wenn man wie er solche Geschichten schon öfter erzählt hat, dann ist das wohl der Moment, in dem alle anderen für gewöhnlich in schallendes Gelächter verfallen, abfällige Handbewegungen machen und sich vielsagende Blicke zuwerfen.
Das war mein Moment. “Ja, dann geh ich mal zum Auto und schau mal, was ich so für Steinchen da hab, nech”, konnte ich sagen und stand auf. Schwupps, war ich es, den alle gebannt anstarrten, bevor sie sich abwechselnd vielsagende Blicke zuwarfen.
Der Zufall wollte es, dass ich vor einigen Jahren meinem Patenkind mein eigenes Lego-Sammelsurium auf unbestimmte Zeit überlassen hatte. Bevor ich nach Rostock gezogen bin, hatte ich fast mein gesamtes Spielzeug gespendet. Eine der Ausnahmen waren die Lego-Steine, eine ganze Waschmittel-Tonne voll. Einer der wertvollsten Schätze aus meiner Kindheit – und der war sozusagen beim Patenkind geparkt. Der Gute hatte zwischenzeitlich bessere Verwendung dafür. Nun ist es aber so, dass er inzwischen dank spendierfreudiger Anverwandter selbst ein kleines Lego-Imperium aufgebaut hat und – kurz und gut – mein altes Zeug nicht mehr benötigt. Bei meinem letzten Besuch habe ich also meinen Lego-Kram wieder eingeladen. Keine zwei Wochen später – die in rotem Filz eingeschlagene Lego-Tonne stand immer noch in meinem Kofferraum – hatte ich es beruflich-terminlich sehr eilig, nach Bützow zu kommen. Nun ist die Strecke von Rostock aufs Dorf derart kurvig, dass ich plötzlich ein Geschepper hinter mir vernahm, als würde jemand ein riesiges Tablett mit Sektgläsern auf einen Glastisch fallen lassen: Die Tonne war umgekippt. Wenig später sah man mich – nach getaner Arbeit – auf dem Parkplatz von Bützow hektisch Legosteine aus meinem Kofferraum zurück in die Tone schaufeln. Bei nächster Gelegenheit habe ich sie dann doch aus dem Auto in meine vier Wände geschleppt. Aber einige Steine hatte ich wohl übersehen.
Und das sollte Carsten ein paar Tage später einen schönen Abend bescheren. Schon beim Ausladen der Grillutensilien waren mir ein paar bunte Klötze im Laderaum aufgefallen, Überreste des Spielzeug-Desasters in meinem Auto – und die klaubte ich nun zusammen, um sie Lego-Carsten unter die Nase zu halten. So in etwa stelle ich mir eine Tupper-Party vor: “Ich geh noch mal schnell zum Wagen, da habe ich noch ganz was Feines für sie” – um wenig später mit seltsamen Kunststoffgebilden wieder in der Tür zu stehen. In diesem Fall mit: Einem roten quadratischen Vierer, dazu ein flacher roter Zweier, eine schwarze Polizeimütze und ein schwarzer Zweier, flach, mit einer Art Leiter dran, auch als Kühlergrill zu verwenden. Carsten geriet in Verzückung, hielt das kleine schwarze Artefakt gegen das Neonlicht der Küchenlampe, kniff die Augen zusammen, kratze sich am Kinn, wog das kleine Teil in seiner Hand als wäre es aus Blei – und vor seinem inneren Auge schien plötzlich alles einen Sinn zu ergeben: “Das ist noch besser als ein normaler flacher Zweier”, erklärte er. Wie viel ich denn dafür haben wollte.
Klar war: Das wird nicht billig. Allerdings waren mir die Weltmarktpreise für historische Lego-Steine nicht geläufig – und so stellte ich als Bedingung, dass ich nicht mehr verlangen würde als ein Foto von der fertigen Skulptur, zu deren Gelingen ich in entscheidendem Maße beigetragen habe. Und nun, verehrte Leser: Das Kunstwerk samt leuchtendem Lichtschwert. Das alles ist nur gelungen, weil mir eine Tonne mit Lego-Steinchen im Auto ausgekippt ist – ich bin sehr, sehr stolz.
Diese Kombination aus Computertechnik und Spielzeug sorgt in manchen Haushalten für Verzückung.
Da irgendwo steckt mein Lego-Steinchen drin.