Deckel und Blasen

Rostbrauner Gullideckel im Vordergrund. Links und rechts Fassaden von Staatskanzlei und Ministerien, im Hintergrund klein: das Schweriner Schloss.
Eine Frage der Perspektive: Dieses Foto vermittelt möglicherweise einen ungünstigen Eindruck von der Größe von Gullideckeln in Schwerin einerseits und den Ausmaßen des Schlosses andererseits.
Seifenblasen schweben vor einem großen Fenster, in der durchsichtigen Haut sind rund verzerrte Reflexionen von Hausfassaden zu erkennen.
Durchsichtige Angelegenheit: In Seifenblasen vor einem Spielwarengeschäft in Schwerin spiegeln sich Häuserfassaden.

Das Auge liest mit

Leipzig. Buchmesse. Man braucht zum Auftakt immer eine Art Wiedereingliederungsphase. Wenn einen der Besucherstrom in die Hallen mitspült und dann gewissermaßen mitten im Getümmel ausspuckt, dann braucht man ein paar Minuten, um sich an diesen wogenden Wahnsinn zu gewöhnen.

Wie eine Sturmflut umspülen die Besucher die Buden, schwappen in den hintersten Winkel der Auslage. Die Flut beginnt um 10 und endet um 17 Uhr. Ebbe ist nur in der letzten Stunde. Wo ein bekannter Name angekündigt wird, entsteht eine Springflut.

Man versucht zu überleben, bemüht sich, aufs Wesentliche zu achten, aber das fällt nicht immer leicht. Da sind immer wieder die dicken Manga-Mädchen, an denen man sich vorbeizwängt. Detailliert kostümiert wandern sie zur Halle mit dem Comic-Buch-Fan-Treffen. Oder diese Herren. Herren mit wallender, wirrer grauer Mähne, in Tweed-Jackets, die es als ihre Verpflichtung verstehen, stets über den Rand ihrer Brille hinweg die Messemassen zu mustern. So schreiten sie mit gesenktem Kopf und weit aufgerissenen Augen durch die Gänge.

Ausklappbare Buchseite mit gezeichnetem Storch.
Klappen gehört zum Handwerk.

Irgendwann beachtet man sie nicht mehr – und dann liegt plötzlich die Schönheit des gedruckten Wortes vor einem. Als Pfeilstorch. „Ich werde über diese Merkwürdigkeit noch etwas drucken lassen“. Ein Buch über Tiermeldungen aus zwei Jahrtausenden. Titelheld ist dann auch noch der Rostocker Pfeilstorch, der einst als Beweis für den Vogelzug diente, weil der Vogel mit einem Geschoss afrikanischen Ursprungs im Halse bis in unsere Breiten flog. Das berühmte Tier verwahrt heute die Uni Rostock – und die Geschichte mit Zeichnung zum Ausklappen ist nun Teil des „Merkwürdigkeiten“-Buches vom Verlag Kunstanstifter (Kunstanstifter, Halle 5 F213).

Oder „Der Atlas der verschwundenen Länder“ – Björn Berge erzählt anhand seiner Briefmarkensammlung Geschichten von Ländern, die es unter diesem Namen längst nicht mehr gibt (dtv, Halle 4 A201/B200).

Manchmal reicht auch ein Kartenspiel. „Monster!“, ein literarisches Trumpfkartenspiel. 30 Ungeheuer und Monstrositäten aus 300 Jahren Weltliteratur treten gegeneinander an. Die Kategorien: Alter, Gerissenheit, Brutalität. Der Leviathan trifft auf den Hund von Baskerville und den Prager Golem (Homunculus-Verlag Erlangen, Halle 5 F119).

Brutalität ist Trumpf.

Und dann gibt es noch die Stiftung Buchkunst – sie zeichnet Bücher aus, bei denen nicht zwangsläufig der Inhalt, wohl aber die Aufmachung besonders lobenswert sind. Wer will es bezweifeln: Das Auge liest mit. An ihrem Stand wird deutlich, was gestalterisch weltweit möglich ist. Hier wird sogar das am besten aufgemachte Buch prämiert. Die Wettbewerbsexemplare liegen zur Ansicht aus. Randnotiz: Ausgerechnet beim Buch über das Falten, Falzen, Knicken und Binden hat die Bindung nachgegeben. (Stiftung Buchkunst, Halle 3 D500).

Bindungslücke – ausgerechnet beim Buch…

… übers Heften und Binden.

Die schönen Seiten der Buchmesse

Wowklaue

Das Auge liest mit, is ja nun mal so. Dabei sieht mal so viel Durchschnitt oder Gammel. Warum nicht mal die eigenen Augäpfel zwischendurch verwöhnen? Mit ein wenig Kalligraphie mit 3D-Effekt.

Meine Handschrift? Eine Sauklaue. Auf ner Skala von 1 bis 10 ne glatte 0. Die Schrift von Tolga Girgin ist alles andere als eine Sauklaue, das ist eine Wowklaue.

Kalligraphie ist sein Hobby, aber nicht bloß einfach so. Der Mann legt wert auf 3D-Eindrücke. Und so werfen seine Schriftzüge Schatten, haben eine Perspektive oder winden sich einfach mal so um die Linien eines Notizblock-Blattes.

Das ist beeindruckende Schriftkunst. Tolga Girgin ist im Hauptberuf Elektroniker, er lebt in der Stadt Eski?ehir in der Türkei. Seine Frau findet seine Handschrift sehr schön – und das hat ihn dem Vernehmen nach dazu bewogen, sich mit der Kunst des schönen Schreibens mal ein bisschen näher zu beschäftigen.

Tolga Girgins Instagramfeed ist voll von jeder Menge schönen Wörtern. Im Interview mit der Internetseite calligraphymasters.com. Er stellt seine Arbeit auch auf behance.net vor.

via boredpanda.com