Warum immer ich?

Es gibt immer wieder Momente im Leben, da stellt man sich diese Frage und weiß schon vorher: Eine Antwort gibt es nicht auf “Warum eigentlich immer ich?” In meinem Fall stelle ich mir derartige Fragen in jüngster Zeit im Supermarkt – viel zu oft übrigens, wie ich finde. Und ja, heute habe ich mir wieder die Frage gestellt, diesmal im Gang mit den Fruchtsaftgetränken. Es hätte auch bei den Eiern sein können oder an der Käsetheke. Sei’s drum.

Ich hatte also bereits eine Honigmelone, zwei Liter Milch, ein bisschen Aufschnitt und Toast in den Einkaufswagen geladen, kam gerade aus dem Gang mit dem Knabberzeugs und dann sah ich es: Ein rotztriefendes, zerknülltes, fleckiges Taschentuch lag plötzlich auch in meinem Einkaufswagen. Ganz vorn, mitten in der Mitte, schon ein bisschen schlaff von der ganzen Soße, die es aufgesogen hatte.

Den Würgreiz hatte ich schnell im Griff und somit genug Zeit, mir in der Warteschlange vor der Kasse die Frage zu stellen, was in Menschen vorgeht, die fremde Einkaufswagen ungebeten zu Seuchenherden machen. Was stellen diese Figuren sonst noch den lieben langen Tag über an, wenn sie nicht gerade Schnupfen haben? Sind das die Personen, die bei McDoof arbeiten und herzhaft in den Milchshake schnäuzen, bevor sie ihn aus dem Drive-In-Schalter reichen? Sind das die, die nur deshalb in Klamottenläden gehen, um auch ohne Unterwäsche Hosen anzuprobieren? Die in Uni-Bibliotheken einfach mal so das längst nicht mehr lieferbare Standardwerk ganz unten im Theologie-Magazin hinter der letzten Buchreihe verstecken? Arschlöcher etwa? Und die kaufen im selben Laden ein wie ich?
Und vor allem: Was mache ich nun? Wohin mit dem Drecksding? Vielleicht geisterte das Taschentuch ja schon eine ganze Weile durch den Markt, immer verstohlen mit spitzen Fingern in unbeobachteten Momenten von einem Kunden zum nächsten Einkaufswagen geworfen. Und ich, sollte ich dieser Zewa-Odyssee ein Ende bereiten, im Papierkorb? Und mir dabei im besten Fall die Schnodderseuche einfangen, im schlimmsten Fall den Arm abfaulen lassen?

Meine Entscheidung fiel auf “Mit-dem-Einkaufswagen-zum-Parkdeck-fahren-Waren-
umladen-und-den-Einkaufswagen-dann-einfach-in-die-Bos-zurückstellen”. Ganz bestimmt kommt nachts eine Reinigungs-Mannschaft und säubert jeden einzelnen Wagen samt Unterbodenwäsche und Desinfektion. Darauf habe ich mich verlassen. Mal sehen, bei meinem sprichwörtlichen Glück werde ich das Taschentuch aber in ein paar Tagen wiederfinden…

Flatterhaft

Wenn man mit einer Handy-Kamera Schmetterlinge fotografieren will, kann man auch gleich versuchen, Zitronen zu falten – die Erfolgsaussichten sind ähnlich. Nun gut, es war gerade keine professionelle Ausrüstung zur Hand. Die fliegenden Fotomodelle sind einfach viel zu flatterhaft und wären bei “Germanys next Top-Butterfly” allesamt rausgeflogen, ja, ich behaupte sogar, die Sendung hätte ohne Ergebnis abgebrochen werden müssen.

Außerdem störte im aktuellen Fall eine aufdringliche Hornisse die Fotosession. Das Vieh platzte in die friedliche Schmetterlingsstimmung rund um einen sonnenbeschienenen Busch wie angeschiggerte Rocker in den Sonntagsspaziergang der jungen Gemeinde. Der brummende Störenfried flog immer genau zu den Blüten, an denen sich ein Falter gerade zu verlustieren anschickte, um ihn mit viel Getöse und bedrohlich wackelndem Hinterleib abzudrängen.

Diese beiden Fotos kann ich der Öffentlichkeit präsentieren.

Tagpfauenauge

Ein Tagpfauenauge, wir alle kennen diese bunten Vertreter, aber…

Schmetterling1

… was ist das für einer? Er hat orange Flügeloberseiten mit dunklen Sprenkeln. Ist es ein Märzveilchenfalter, ein Kaisermantel oder doch ein Kleiner Perlmuttfalter, oder ein Früher Perlmuttfalter oder ein Feuriger Perlmuttfalter? Die Frage geht an alle Lepidopteraten, wie die Fachleute, die sich mit Lepidoptera auskennen, vielleicht heißen mögen

Schmetterlinge zählen zu den faszinierendsten Insekten, das liegt wohl auch an ihren Namen. Schornsteinfeger, Aurorafalter und Hauhechel-Bläuling sind da drei ebenso wunderbare wie willkürlich herausgegriffene Beispiele. Und auch schon die umgangssprachliche Bezeichnung der Insekten-Ordnung selbst ist faszinierend: Weil der Duft von frischem Rahm die Schuppenflügler anzieht, gab man ihnen in der frühen Neuzeit einen angemessenen Namen, sinngemäß übertragen und zusammengefasst in etwa: “Das Ding, was Rahm mag, das Zeug auch noch klaut, zum Dank hineinschifft und uns dadurch erheblich in unserer Existenz gefährdet, aber was sollen wir machen, die Viecher sind halt so schön anzusehen… das sind bestimmt Hexen!!!” Für Rahm benutzte man damals lieber den ostmitteldeutschen Begriff Schmetten. “Schmandlecker” war demzufolge nur eine von vielen lokal verwendeten Bezeichnungen für die “Butterscheißer”, wie die Niederländer Schmetterlinge einst nannten. Bei uns entwickelte sich aus den Schmand-Dingern vor gut 200 Jahren das Wort Schmetterling. Und wenn man das mit dem Rahm und der Vorliebe dafür bedenkt, macht plötzlich auch die englische Bezeichnung “butterfly” einen Sinn.

Wikipedia: Schmetterlinge

Insektenbox

Tagschmetterlinge in Oberbayern

Schmetterlinge – Raupe

Fliegende Schreihälse

Sie schreien wie am Spieß: Die Möwen… sehen alle aus, als ob sie Emma hießen. Sie tragen einen weißen Flaus und sind mit Schrot zu schießen (um an dieser Stelle endlich mal Herrn Morgenstern zu zitieren). Wenn der Nachwuchs beschließt, ein eigenes Leben zu führen, die wohlige Heimstatt der elterlichen vier Wände zu verlassen, dann geht das oft nicht ohne Geschrei und Gekeife ab. Bei Rostocks Möwen ist es aber in diesen Tagen besonders schlimm. Morgens, mittags, abends hört man dieses penetrante und überdurchschnittlich laute “Grääääh, grääääh”, dieses “Mohohohoho” oder “Arrr, arrr, arrrr”. Gestern und heute hat es mich aus dem Schlaf gerissen, am Wochenende am Einschlafen gehindert – und ich bin da wahrlich nicht besonders empfindlich. Aber wenn zu nachtschlafender Zeit eine Großfamilie Seevögel lauthals randalierend und marodierend am Schlafzimmerfenster vorbeizieht, kommt einem schnell der Gedanke, dass Herr Morgenstern mit den ersten vier Zeilen seines Möwen-Gedichts doch Recht haben könnte. Allerdings haben Sturm-, Lach- und Seemöwen angeblich einen guten Grund für dieses Theater. Der Nachwuchs ist jetzt in einem Alter, in dem er sich anschickt, selbst zu fliegen. Und dabei kann man offensichtlich viel falsch machen. Außerdem scheint ein unbedarfter weißer Flattermann eine leichte Beute für allerlei anderes übelmeinendes Getier zu sein. Aus diesem Grund machen die Möwen-Eltern diesen Rabatz. Das geht jetzt schon seit Wochen so. Irgendwann muss doch auch das jüngste Küken mal aus dem Gröbsten raus sein, oder? Ich frage mich, warum die lieben Vogeleltern sich nicht mal ne halbe Stunde Zeit nehmen können für die Flugtheorie, anstatt einfach alle auf einmal losfliegen zu lassen. Ein paar Lektionen über Thermik, effektive Flugtechniken, Flugverkehrsregeln über bewohntem Gebiet und vor allem Lärm- und Emissionsschutz haben schließlich noch niemandem geschadet.

Updatemeldungsbanner

Und dann gibt es im Netz noch diese Betrachtung über Möwen und dass sie auf Föhr ähnlich nervig sind wie anderswo

200 neue Blätter

Nachdem weltpolitische Ereignisse das Land gestreift haben, ist nun wieder Zeit für vergleichsweise belanglose Nachrichten. Los gehts: Gut zehn Monate machte der Hibiskus im Wohnzimmer keine Freude: In der vergangenen Woche hatte sich die Zahl seiner Blätter auf vier reduziert. Und auch die hingen schlaff und teilweise graubraun an den Zweigen. Ein Bild des Jammers, das die Entscheidung reifen ließ, das Ding auf dem Müllhaufen der Botanikgeschichte zu entsorgen. Ich hatte es mit Gießen, Düngen, Ausschneiden und kräftigem Gießen versucht: Nichts, die Pflanze wurde kahl. Auch die Aktion Umtopfen Ende April (siehe hier, ganz unten) brachte keinen Erfolg. Ich gab nicht auf und bohrte in den Boden des neuen Kübels zwei extra große Löcher, weil ich irgendwo im Internet gelesen hatte, dass der Hibiskus an sich keine nassen Füße mag. Auch Wochen danach passierte – nichts. Ich sah dem langsamen Pflanzen-Sterben verzweifelt zu. Meine letzte Verzweiflungstat war, die Warnungen vor nassen Hibiskus-Füßen in den Wind zu schlagen. Ich gab dem Ding Feuchtes, und nicht zu knapp. Einen Liter nach dem anderen flößte ich ihm ins Wurzelwerk ein, Tag für Tag. An Wasserknappheit sollte es jedenfalls nicht liegen, dass man mich für einen Hibiskusmörder hält. Und dann plötzlich, vor ein paar Tagen, als George W. Bush gerade auf dem Weg nach Mecklenburg-Vorpommern war (da kann ein, muss aber kein Zusammenhang bestehen), deutete sich zartes Grün am Stamm an. Ich hielt das für einen verkümmerten Rest des letztes zaghaften Sprosses aus dem vergangenen Jahr. Aber da! Und da! Und hier und dort und da und da und oben, unten, überall plötzlich neue kleine Blätter. Das ist eine Woche her. Inzwischen grünt es wieder im Wohnzimmer, geschätzt 200 Blätter sind aus dem verdorrten Geäst geradezu hervorgebrochen. Und mein Daumen schimmert auch schon leicht hellgrün…

Geschwindigkeitsrausch auf dem Wasser

Der Hilferuf kam am Donnerstag: “Kannst Du unser Drachenboot-Team verstärken?!” war die fordernde Frage. Zum 11. Drachenbootrennen in Warnemünde hatten sich 90 Teams angemeldet. “Die Pappnasen” hatten aber wegen Terminproblemen Besetzungsschwierigkeiten. Ich sehe mich gerne in der Rolle des strahlenden Retters in ebensolcher Rüstung – und so sagte ich zu, ab dem zweiten Lauf mit ins Boot zu steigen.

Die Pappnasen fallen nicht nur durch ihren bemerkenswert unpassenden und der Disziplin unangemessenen Namen auf (nun gut, nicht jeder kann sich Speedboat oder irgendwas mit Dragon nennen), sondern auch durch ihre überaus gelassene Einstellung zum Gerät und zum Sport. Das Team (seit zehn Jahren am Start), war genau ein einziges Mal vorher beim Training. Einen Schlachtruf hat die Crew aus Männern und Frauen trotz ihrer langen gemeinsamen Geschichte noch nicht entwickelt.

Drachenbootrennen Warnemünde 2006

Einer der Vorläufe beim Drachenbootrennen, am Ufer haben die
Teams mit Zelten ihre Mannschaftsquartiere eingerichtet und
drängeln sich Zuschauer. Im Hintergrund ist der Kreuzliner
“Rotterdam” zu erkennen, der eine weit angenehmere
Form der Fortbewegung auf dem Wasser erahnen lässt.

Den ersten Lauf hatten die 18 Paddler auf der Distanz von 280 Metern auf dem Alten Strom in Warnemünnde mit 1,23:08 als Sieger hinter sich gebracht. Ich kam kurz vor knapp zum zweiten Lauf hinzu. „Geschwindigkeitsrausch auf dem Wasser“ weiterlesen

Lauter falsche Pferde

Aktuell

Auf der Rennbahn in Bad Doberan trifft sich die internationale Pferde-Elite zum Ostseemeeting.

Ostseemeeting 01

An vier Wettkampftagen gehen Jockeys auf hochgezüchteten Rennpferden an den Start. Und das ist auch ein gesellschaftliches Ereignis, auf dem wir nicht fehlen wollten. Zu diesem Behufe – und weil Damen mit angemessenem Kopfputz freien Eintritt haben am Ladies-Day – trugen wir einen orangenen Hut mit Margeriten-Girlande und frischem Buschgrün (wobei wir uns die Aufgabe ebenso angemessen teilten: Mandy trug ihn, ich bewunderte ihn). Was die Damen in Ascott können, da legen die Mecklenburgerinnen gerne noch ein paar Kohlen auf. Die Gäule waren Nebensache, als die besten Hutmodelle prämiert wurden. Mein Favorit war dieser hier rechts:

Ostseemeeting 04

Die Dame trägt einen grün dominierten Kopfputz der den rasenden Reporter der Sesamstraße bei einer offensichtlich äußerst erfolgreichen Gartenarbeit zeigt (kein Wunder bei den grünen Daumen): Kermit turnt hier waghalsig aber sicher mit einer Gießkanne, aus der Plastikwasser sprudelt, über eine bunte, saftige Plastikblumenwiese. Applaus, Applaus, Applaaaaaus! Ganz klar ein Favorit für einen der ersten drei Plätze beim Hüte-Contest. Es sollte nicht die einzige falsche Prognose bleiben an diesem mlauen Sommerabend.

Denn: Es hat leider nur für Platz 6 gereicht. Die Jury war der Meinung, dass dieses rosa Geschwurbel…

Ostseemeeting 06

… irgendwie besser sei. Der dicke Mann aus dem Fernsehen hat das auch wortreich begründet und der glücklichen Hutträgerin Silbergeschmeide überreicht. Aber die Doberaner Froschkönigin hat immerhin noch einen Wellnessgutschein bekommen.

Diese Frau mit leichter Schräglage kam auf Platz drei. Sie hatte zuweilen doch einige Mühe, ein Ensemble aus hölzernen Schiffsmodellen ebenso grazil wie selbstverständlich und unbeschwert über das Grün zu balancieren. Vier Kuttermodelle haben doch schon ein beachtliches Gewicht.

Ostseemeeting 03

Wie bitte, ach so, ja, die Pferde. Um es kurz zu machen:

Ostseemeeting Start

Die Hatz der Hengste und die Sprints der Stuten über bis zu 2900 Meter waren ja ganz nett. Wir hätten wohl noch mehr Gefallen daran gefunden, wenn wir zwischendurch auch mal richtig getippt hätten, wer denn wohl in welcher Reihenfolge ins Ziel hineinzutapern gedenkt. Zwar gibt es per Lautsprecher Tipps von Experten, aber auch die irren sich gerne Mal, wie wir nunmehr in unseren Portemonnaies nachfühlen können. Es ist so einfach, sein Geld zu verjubeln: Einfach in irgendwas investieren, wovon man keine Ahnung hat, am besten noch auf den Rat von Experten hören, die man noch nicht einmal zu Gesicht bekommt und dann das System verfluchen. Unserer unmaßgeblichen Meinung nach sind vor allem falsche Pferde an den Start gegangen, denn auf genau diese Zossen un Rappen haben wir mit traumwandlerischer Sicherheit gesetzt.

Aber Spaß gemacht hats trotzdem. Allerdings ist das Pferdewetten wohl tatsächlich eine Wissenschaft für sich. Es ist fast wie der Aktienboom vor ein paar Jahren. Man macht ein paar Striche auf den Wettscheinen, zahlt Kleckerbeträge von zwei Euro – und sieht das Geld nie wieder. Nach 20 Euro war Schluss – wir können eben jederzeit aufhören, wenn die Wettkassen schließen. Mit unserem Geld kauft sich jetzt einer dieser Schnösel aus dem VIP-Zelt was Kleines: Peanuts wahrscheinlich.

Hitzerekord

40,2 Grad Celsius war gestern die Spitzentemperatur in meiner Wohnung im vierten Stock unterm Dach. Das ist der höchste je gemessene Wert seit Beginn der Aufzeichnungen. Ja, die Aufzeichnungen haben gestern begonnen.

Kundenbindung

Deutschland ist eine Servicewüste, wird allgemein behauptet. Unfreundliche Verkäufer, gnatzige Kundenbetreuerinnen – und überhaput sei ja alles schlecht bei Einzelhändlern und Dienstleistern. Dieses pauschale Vorurteil würde ich so nicht unterschreiben – und vielmehr mit einer differnenzierten Schilderung meiner Bäckereierfahrungen zu einer VErsachlichung der Diskussion beitragen wollen:

Das Studio, mein Arbeitsplatz, liegt genau zwischen zwei Bäckerei-Verkaufsstellen. Richtung Innenstadt sind es gut 170 Meter zu Bäcker Patzig (Name von der Redaktion geändert), Richtung Bahnhof sind es vielleicht 169 Meter bis zur Tür von Café Charming (Name von der Redaktion geändert). Bei Bäcker Patzig dominieren Dunkelbraun und Rot die Ladeneinrichtung. Dieses düstere Farbkonzept schlägt sich ganz offensichtlich auch auf die Stimmung der Mitarbeiter nieder.

“Was denn jetzt noch?” fragen die Damen gerne mal, wenn sie dachten, dass man nun eigentlich schon längst alle Wünsche geäußert hat. Auch ein beherztes “Weiß ich doch nicht” geht den Damen hinter der Theke zuweilen leicht über die Lippen, wenn man zum Beispiel danach fragt, wie denn dieses oder jenes Gebäck nun heißt: “Ist das da ein ‘Lerch’, ein ‘Lerche’ oder ein ‘Lerchen’? Auf dem Preisschild steht ja ‘Lerchen, 61 Cent’. Aber kostet nun ein Stück 61 Cent oder wie viele Teile sind gemeint. Ist das also Einzahl oder Mehrzahl da auf ihrem Schild?” Die Antwort ist bekannt: “Weiß ich doch nicht.”

Der Höhepunkt an der Theke mit belegten Brötchen, Blätterteig und Sahneschnittchen ist aber der Bottich für die Zangen. Das Gefäß, mit Wasser gefüllt, ist in die Arbeitsplatte eingelassen – und es befindet sich direkt hinter der Kuchenauslage. Die Gebäck-Zangen werden zwangsläufig häufig benutzt. Jedes Brötchen, jeder Kopenhagener, alle Lerchen (oder wie auch immer) bekommen den kalten Druck des Metalls zu spüren, wenn die Damen sie hastig in die Gebäcktüten stopfen. Danach, stellen, nein, stopfen, nein, stoßen, nein, schleudern die Damen ihre Zange zurück in den Bottich – und das mit derart viel Schwung, aus dem sich ablesen lässt, wie viel Spaß die Mädels haben, hier arbeiten zu müssen: manchmal sehr wenig.

In dem Wasser lösen sich nun Mal für Mal die Teigreste, die eben noch an der Zange klebten und vermengen sich zusammen mit den Sahne- und Cremeresten vom Tortenmesser zu einer weißen Pampe. Und jedes Mal, wenn ein Utensil geräuschvoll in den Topf zurückrasselt, steigt ein zarter Sprühregen weißer Tropfen auf, der sich wie zufällig mal auf dieser Erdbeerschnitte, mal auf jener Käse-Sahne niederschlägt – und dort verweilt, bis ihn irgendjemand kauft – mitsamt dem Kuchen. Lecker.

Ich gehe deshalb lieber ins Café Charming mit seinen hellgelb getünchten Wänden, großen Fenstern und gemütlichen Sitzecken – und dort habe ich nun wohl schon einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht. Meinen ersten Besuch nach ein paar Tagen Pause quittierten die Damen in ihren blauen Schürzen unlängst mit einem beherzten “Lange nicht gesehen, wa? Und trotzdem wiedererkannt.” Auch die neue Brille fand Beachtung, manchmal werde ich sogar geduzt – und selbst meine Bestellungen können die Mädels schon voraussagen.

Das liegt daran, dass Café Charming unter anderem mit Zucker bestreute Quarkhörnchen im Angebot hat. Und es gab eine Zeit, da habe ich nahezu täglich eines essen müssen, wochenlang. Ich bin von meiner Sucht inzwischen ganz gut losgekommen (ich könnte auch jederzeit ganz aufhören, ganz bestimmt) und schaffe es inzwischen, auch mal einen Vormittag ohne Quarkhörnchen auszukommen. Nur leider machen es mir die Damen nicht leicht.

Wir plauderten gerade wieder zwischen Laugenkrone und Croissant zum Mitnehmen über Radio und Bäckereien und wie das alles zusammenhängt, als mein Blick auf einen Stapel Amerikaner fiel, die direkt neben besagten Hörnchen in der Theke lagen. “Ich nehme dann auuch noch gerne einen Amerikaner!” sagte ich – und die junge Frau hinter dem Tresen machte sich sofort routiniert ans Einpacken. Wir redeten derweil übers Wetter, über das Wochenende und 2-Euro-Münzen mit Holstentor.

Ich zahlte, schnappte mir die Tüten, lief zurück ins Studio. Dort hätte ich gern meinen eigenen Gesichtsausdruck gesehen, als ich die Bäckertüten aufriss. Meine Mimik dürfte von Überraschung geprägt gewesen sein. Dort lag nämlich kein Amerikaner, sondern: ein Quarkhörnchen. Also, das nenne ich Kundenbindung.

Warten vorm und aufs Tor

viellosvormstudentenkeller

So eine lange Warteschlange gabs schon ewig nicht mehr vorm Tor zum Studentenkeller in Rostock. Bis zum Torbogen unterm Barocksaal standen die Wartenden – am hellichten Tag. Die wollten alle zur Leinwand auf dem Hinterhof, um die deutsche Fußball-Nationalmannschaft gegen Polen gewinnen zu sehen. Weil zu befürchten war, dass die Warterei davor mindestens so lange dauern würde wie dann schließlich das Spiel bis zum ersten Tor – 90 Minuten also – , haben wir uns lieber gar nicht erst angestellt…