Natascha Kampuschs Worte

Aktuell

Zwei Wochen nach ihrer Flucht aus acht Jahren Gefangenschaft hat die 18-Jährige Natascha Kampusch aus Österreich einigen Zeitungen und dem ORF Interviews gegeben. Das österreichische Fernsehen hat das Gespräch bereits gesendet, RTL will um 21:15 Uhr das aufgezeichnete Interview ausstrahlen. Die ARD will es nach Mitternacht zeigen.

Die junge Frau sitzt in einem lavendelfarbenen Oberteil und mit einem modischen Kopftuch vor der Kamera und sagt in dem Gespräch unter anderem: “Ich war stärker [als der Entführer]”.

Der ORF hat eine Abschrift des Interviews online gestellt. Das Skript ist hier zu finden.

Updatemeldungsbanner

Edit: Besonnen, überlegt, die Augen oft geschlossen, so schildert die junge Frau ihre ersten Tage in Freiheit – über den Kontakt zu ihren Eltern und über ihren ersten Besuch in einer Eisdiele, ganz incognito. Sie habe auch schon Freundschaften geschlossen, berichtet Natascha – zu anderen Patienten in dem Krankenhaus, in dem sie untergebracht sind. Darunter sind nach ihren Worten einige Kinder im Alter von etwa zehn Jahren.

Dann macht RTL erst mal Werbung. Der erste Spot zeigt ein Shampoo. Die Sprecherin preist es mit den Worten an: “Es gibt nichts Schöneres als schuppenfreies, natürlich glänzendes Haar.” Naja…

Updatemeldungsbanner

Im weiteren Verlauf des Interviews ist der jungen Frau die Anstrengung, die Belastung anzumerken, die nicht nur das Gespräch selbst, sondern auch die Berichte über ihre Gefühle und ihre Erlebnisse, ihr Leben für Natascha bedeuten.

“Ich finde, ich war stärker als er”, sagt sie über ihren Entführer. Als sie ihrem Peiniger zum ersten Mal auf dem Schulweg an seinem Auto sah, habe sie noch gedacht, ob sie nicht die Straßenseite wechseln solle. Sie tat es nicht: “Er packte mich, ich versuchte zu schreien, aber es kam kein Laut raus.”

Das Mädchen war im Alter von zehn Jahren im März 1998 entführt, verschleppt und versteckt worden. Viele ihrer Schilderungen aus ihrer Gefangenschaft waren sehr ergreifend, am berührendsten war aber wohl der Bericht über einen “Ausflug” mit ihrem Entführer zum Einkaufen in einem Baumarkt. Die Verkäufer hätten gefragt: “Kann ich ihnen vielleicht helfen?” Das Mädchen musste hilflos zusehen, wie ihr Entführer die Mitarbeiter abwimmelte. Er hatte zuvor gedroht, beim kleinsten Versuch Nataschas, auf ihre Entführung aufmerksam zu machen, Menschen umzbringen.

In dem Fernsehinterview macht Natascha Kampusch einen tapferen, gefassten Eindruck, atmet manchmal schwer, antwortet aber auch manchmal mit brüchiger Stimme und spricht auch über ihre Pläne: Eine Stiftung gründen um Menschen zu helfen, die in ähnliche Notlagen geraten sind wie sie selbst.

Allerdings bleibt trotzdem die Frage, warum es nötig ist, dass die junge Frau sich den Strapazen aussetzen muss, über ihre Gefangenschaft öffentlich im Fernsehen zu berichten. Der Druck, die Nachfrage von Redaktionen, mit Natascha Kampusch zu sprechen, muss unvorstellbar groß sein.
Natascha Kampusch hofft, dass sie mit diesem Interview diese Neugier befriedigt zu haben. Es ist schon paradox: Um endlich Ruhe zu haben, muss Natascha Kampusch zunächst fast ihr ganzes Leben preisgeben.

Brief von Natascha Kampusch an die Öffentlichkeit

Wikipedia-Artikel

Einer von den vielen, vielen anderen

Bildblog lebt nicht nur von der eigenen kritischen Recherche, sondern auch von den “sachdienlichen Hinweisen” der Besucher. Jetzt habe ich auch mal nen Fehler rund um Bild entdeckt – und gleich ne Mail geschickt. Darum geht’s:

Ausriss aus einer Bild.de-Stellenanzeige (Quelle: Bildblog.de)

Panne in einer Stellenanzeige von bild.de

Ich war aber nicht der Erste, dem das aufgefallen ist. Aber mit den “vielen, vielen anderen”, da bin auch ich gemeint. Mein Anteil an dem dazu passenden bildblog-Artikel beläuft sich nach eigenen Schätzungen auf den unteren Promillebereich. Aber immerhin. Ich war dabei.

Droste und Rücker

Also, das ist eine sensationelle Kombination: Wiglaf Droste, Journalist und Satire-Autor unter anderem bei der taz und Urheber wirklich gelungener Kolumnen, hat Ende Februar 2005 eine wahrlich liebevoll ausformulierte Betrachtung über Joschka Fischers Verhalten in der Visa-Affäre und das Selbstverständnis der Grünen veröffentlicht. Kleiner Ausschnitt:

Joseph Fischer weiß, was er an Claudia Roth hat: Die Frau ist eine intellektuell befreite Zone. … Zumal auf ihrer Kriechspur ein weiterer Gollum wandelt: Franz Josef Wagner, der bei Springer die Rolle der nicht immer ganz sauberen Unterhose einnimmt,…

Wunderbar. Dieser Text wiederum diente als Vorlage für eine Hörprobe auf earpaper.de, womit ich nun also zur Kombination komme. Auf dieser Internetseite bieten drei NDR-Mitarbeiter ihre Sprech-Stimmen für die Vertonung von Podcasts an. Nachrichten-Sprecher (und Schauspieler) Alfred Rücker (bei dem auch ich vor Jahr und Tag mal ein paar Sprechstunden nehmen durfte), hat sich den Text von Droste ausgewählt. Und der Vortrag ist einfach nur herrlich (auf dieser Seite gibt es den Text zum Hören).

Sie können es einfach, die Herren Droste und Rücker… Und deshalb ist dieses wohl leider einmalige Tondokument heute die Akustik des Tages.

Ekel-Tänzerin belügt Arbeitsamt

Im Falle der Bildzeitung hat man zuweilen den Eindruck, Behauptungen, Fakten und Schlagzeilen werden rein zufällig von der sogenannten Redaktion zusammengewürfelt. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn man auf Bildblog.de den Geschichten der Bild auf den Grund geht. In der Vergangenheit wirkten die Blogger zuweilen wie das Lektorat der Printausgabe, weil sie die großen und kleinen Ungereimtheiten ins rechte Licht rückten. Daran haben sich die Bild-Leute auch reichlich bedient . Nun bietet Bildblog ein weiteres Tool für Boulevard-Journalisten an: Den Schlagzeil-O-Mat.

Bildblog Schlagzeilomat

Einmal kurz am Hebel ziehen, schon spuckt das Bild-rote Gerät Überschriften aus, die so jeden Tag in der Zeitung stehen könnten, nicht in jeder, aber in der Zeitung eben…

Kerner-Job

An die Worte von Hanns Joachim Friedrichs , das Gesicht der Tagesthemen mit der sonoren Stimme, denke ich recht oft: “Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.” Klar, wie soll man noch distanziert und unvoreingenommen über einen Autokonzern berichten können, wenn man dort ganz “besondere Konditionen” beim Kauf genossen hat. Wie kann man über Unregelmäßigkeiten bei der Lohnzahlung des besten Restaurant am Orte schreiben, wenn man dort regelmäßig ein Menü zum Preis einer Vorspeise futtern kann? Diese Themen muss man ausklammern, so regelt es das übliche redaktionelle Selbstverständnis in Deutschland. In unserer Redaktion zum Beispiel ein Reporter nicht über Vorwürfe gegen eine Firma berichten, weil deren Besitzer den Verein des Kollegen finanziell unterstützt. Klare Sache.

Für Johannes B. Kerner und Reinhold Beckmann gelten andere Regeln. Die beiden Gastgeber von Gesprächssendungen machen Werbung für private Altersvorsorge oder den Börsengang von Fluggesellschaften und laden Firmenvertreter auch noch in ihre Sendungen ein um über das Thema zu reden, für das sie selbst Werbung machen. Eine fragwürdige Praxis, die einigen Artikeln des Pressekodex’ des Deutschen Presserats widerspricht, auch wenn der Kodex die Frage nach werblichen Tätigkeiten von Journalisten nicht explizit stellt. In Artikel 15 heißt es:

Die Annahme und Gewährung von Vorteilen jeder Art, die geeignet sein könnten, die
Entscheidungsfreiheit von Verlag und Redaktion zu beeinträchtigen, sind mit dem
Ansehen, der Unabhängigkeit und der Aufgabe der Presse unvereinbar. Wer sich für
die Verbreitung oder Unterdrückung von Nachrichten bestechen lässt, handelt
unehrenhaft und berufswidrig.

Dazu heißt es erläuternd:

Richtlinie 15.1 – Einladungen und Geschenke
Die Gefahr einer Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit von Verlagen und Redaktionen
sowie der unabhängigen Urteilsbildung der Journalisten besteht, wenn Redakteure und
redaktionelle Mitarbeiter Einladungen oder Geschenke annehmen, deren Wert das im
gesellschaftlichen Verkehr übliche und im Rahmen der beruflichen Tätigkeit notwendige Maß
übersteigt. Schon der Anschein, die Entscheidungsfreiheit von Verlag und Redaktion könne
durch Gewährung von Einladungen oder Geschenken beeinträchtigt werden, ist zu
vermeiden.
Geschenke sind wirtschaftliche und ideelle Vergünstigungen jeder Art. Die Annahme von
Werbeartikeln zum täglichen Gebrauch oder sonstiger geringwertiger Gegenstände zu
traditionellen Gelegenheiten ist unbedenklich.
Recherche und Berichterstattung dürfen durch die Vergabe oder Annahme von Geschenken,
Rabatten oder Einladungen nicht beeinflusst, behindert oder gar verhindert werden. Verlage
und Journalisten sollten darauf bestehen, dass Informationen unabhängig von der Annahme
eines Geschenks oder einer Einladung gegeben werden.

Niemand wirft den beiden TV-Männern vor, sich bestechen zu lassen. Die entscheidende Passage in diesem Zusammenhang ist aber wohl die Sorge um die Entscheidungsfreiheit der Redaktion, die durch die enege geschäftliche Bindung vom Gastgeber an seine Interviewpartner zumindest gefährdet sein dürfte. Allerdings sei hier angemerkt, dass der Presserat sich mit seinem Kodex vor allem an gedruckte Medien richtet, aber was für Zeitungen gilt, kann fürs Fernsehen ja nicht schlecht sein.

Ähnliche Ansprüche wie der Pressekodex von 1973 formuliert auch der Medienkodex des Netzwerks Recherche. In zehn Punkten stellt er Leitlinien für die journalistische Arbeit in etablierten und neuen Medienformen auf. Für Herrn Kerner und Herrn Beckmann besonders wichtig dürften Punkt 1:

Journalisten berichten unabhängig, sorgfältig, umfassend und wahrhaftig.
Sie achten die Menschenwürde und Persönlichkeitsrechte.

und Punkt 5:

Journalisten machen keine PR.

sein.

Der Deutschlandfunk hat dieses Thema vor einigen Tagen kommentiert. Den Beitrag kann man sich auf dessen Internetseite anhören und lesen.

Spitzel-mäßig

Der Bundesnachrichtendienst BND hat großen Aufwand betrieben, Journalisten auszuspionieren. Dabei wurden Medienberichten zufolge auch Kollegen aufeinander angesetzt – dies alles zu dem Zweck, undichte Stellen im Auslandsgeheimdienst der Bundesrepublik ausfindig zu machen. Zeitungen, Radio und Fernsehen haben in den vergangenen Tagen aus verständlicher Empörung ausführlich darüber berichtet.
Die Bundesregierung hat dem Geheimdienst ja inzwischen untersagt, Redakteure zu überwachen – da halten sich die Schlapphüte ganz bestimmt dran…
Der Karikaturist Tomicek – einer der besten seiner Zunft – hat das Thema schon mehrfach zum Gegenstand seiner Zeichnungen gemacht. Die wohl beste ist diese hier.

Vater und Sohn

Jedes Jahr kürt eine Jury die besten, aussagekräftigsten, eindrucksvollsten Pressefotos. In mehreren Kategorien vergeben die Fachleute Preise. Den ersten Platz belegte und damit den Titel “World Press Photo” erhielt ein Foto von einer Frau mit ihrem Kleinkind aus Niger. Hier nun also ein Blick in einige anderen Kategorien.

Das erste, was einem beim Betrachten dieses Bildes auffällt, sind die Augen von Vater und Sohn. Es sind ausdrucksstarke Blicke, die sich beide zuwerfen. Sie schauen sich besonders eindringlich an.

1st prize Contemporary Issues Singles - Yannis Kontos, Greece, Polaris Images - Boy helps his father to dress, Sierra Leone

Der Junge blickt konzentriert auf den Hemdkragen seines Vaters. Schaut zu ihm auf. Er schließt die Knöpfe. Sein Vater hat sich leicht zu ihm hinuntergebeugt. Sein Blick ist so tief, wirkt so dankbar, zugleich so verzweifelt, so hilflos, so leer. Der Mann ist auf die Hilfe seines Kindes angewiesen: Ihm fehlen beide Hände. Sie wurden vermutlich abgehackt – Sierra Leone ist vom Bürgerkrieg durchschüttelt. Andere Menschen, auch Frauen und Kinder zu verstümmeln, ist das brutale Alltagsgeschäft der verfeindeten Rebellen in diesem Krieg, in dem es auch um Diamanten geht.

Bildnachweis:
1st prize Contemporary Issues Singles
Yannis Kontos, Greece, Polaris Images
Boy helps his father to dress, Sierra Leone
(World Press Photo)

Post an Wagner

Franz Josef Wagner schreibt jeden Tag auf Seite 2 der Bild eine Kolumne, die “Post von Wagner” heißt und mit denen der Autor den Empfängern wahlweise ins Gewissen redet, sie öffentlich demütigt oder sonstwie zur Schau stellt. Heute widmet er sich dem dynamischen Olympiaduo, Waldemar Schmidt und Harald Schmidt. Das ist die Gelegenheit für eine Replik, bei der nur ein paar Wörter – die kursiven – ausgetauscht und der erste Absatz weggelassen werden müssen:

Lieber Herr Wagner,
(…)
Ich habe nun ihre Kolumne schon öfter gelesen. Ich konnte nicht aufhören. Ich wollte die ganze Zeitung aus dem Fenster schmeißen. Was für Verallgemeinerungen musste ich lesen. Wagner als Moralapostel im Dauereinsatz, als Besserwisser auf Seite 2. Und Wagner scheinheilig anteilsvoll zu den Eltern der Leipziger Irakgeiseln: “Ich frage mich, warum die Eltern dieser Söhne alleine weinen müssen.”
Es gibt Zeitungen, bei denen man sich schämt, dass man Augen hat.
Bitte, bitte, hören Sie auf. Es ist besser, den Schwanz einzukneifen und sich wegzuschleichen, als Idiot für immer zu sein. Das Konzept stimmt nicht. Tagesgeschehen und Platitüden sind so falsch wie (sic!) Lachen beim Sex. Kein Grimmepreis für Wagner, allerletzer Platz. Und allerletzte Frage: Gehen Sie betrunken ans Schreiben?
Herzlichst,
Ihr
Christian Kohlhof

Blubberbläschen

Die Auszeichnung “World Press Photo” für das Jahr 2005 ging an ein Bild, das die Hungersnot in Afrika thematisiert. Preise werden aber auch in anderen Kategorien vergeben. So kürte die Jury auch Sportfotos. Das ihrer Meinung nach beste ist dies hier:

1st prize Sports Action Stories - Donald Miralle, Jr., USA, Getty Images - Sports portfolio: Aaron Peirsol during the Santa Clara Grand Prix, 26 June

Ist es ein Vogel, ist es ein Flugzeug? Nein, es ist Aaron Peirsol unter Wasser, fotografiert von Donald Miralle jr. für die Agentur Getty Images. Die Lichtbrechungen am Beckenrand, die Blubberbläschen, die gen Oberfläche steigen und dazu die gespannte Haltung des Körpers machen diese Aufnahme Dank ihres ungewöhnlichen Blickwinkels zu einem echten Hingucker.

Bildnachweis:
1st prize Sports Action Stories
Donald Miralle, Jr., USA, Getty Images
Sports portfolio: Aaron Peirsol during the Santa Clara Grand Prix, 26 June

(World Press Photo)