Rostock vs. Schwerin III

Heute: Musik in der Nachbarschaft.

Es ist noch gar nicht lange her, da wackelte in Rostock die Wand. Und der Fußboden bebte. Und die Stifte, die auf meinem Schreibtisch lagen, zitterten im Takt der Beats, die der Party in der WG unter meiner Wohnung ordentlich einheizten. Es war mittlerweile kurz nach 4 Uhr in der Nacht und ich saß gerädert am Computer. Die Einweihungsparty meiner neuen Nachbarn zog sich hin, die Stimmung war ausgelassen – und die Musik ohrenbetäubend laut. In dieser Nacht erfuhr ein ganzer Stadtteil, welche Energie zusammenkommt, wenn angehende Akademiker die entbehrungsreichen Mühen des fordernden Studentendaseins für ein paar Stunden, also etwa elf, vergessen wollen.

Jeder halbwegs vernünftige Mensch wird mir zustimmen, dass man nur verbal in ein Wespennest stechen würde, wenn man versucht, eine derart aufgeheizte Menge zu forrtgeschrittener Stunde um Ruhe zu bitten. Außerdem fand ich das Getöse und die Wucht, die ein druckvoller Bass-Laustprecher heutzutage entwickeln kann, um durch Hauswände und Decken hindurch Gegenstände hüpfen zu lassen, auch in gewisser Weise faszinierend. Wenn ich am nächsten Tag Frühdienst gehabt hätte, wäre ich aber wohl nicht so duldsam gewesen.

Jedenfalls dachte ich aber auch, dass es nicht schlimmer kommen kann. Bis jetzt. Heute hatte ich Frühdienst und suche in meiner Kemenate Ruhe und Erholung vom aufreibenden Alltag in einem Landesfunkhaus. Doch angenehme Leichtigkeit will sich nicht einstellen, weil irgendwo nebenan, ein paar Häsuer weiter seit gefühlt drei Stunden irgendein Wahnsinniger auf einem Klavier oder Keyboard oder was auch immer für einem Folterinstrument nahezu pausenlos immer wieder dieselben Tonfolgen repetiert. „Rostock vs. Schwerin III“ weiterlesen

Chinchilla-Nacktmull

Meinem Gegenüber standen für einen Moment die Tränen in den Augen. Ich hatte einen Witz auf Kosten ihrer Chinchillas gemacht. Konnte ja nicht ahnen, dass die Dame mit dem resoluten Mundwerk derart empfindlich reagiert, wenn es um die possierlichen Nager geht. Aber urteilen Sie selbst:

Zunächst ging es in der Unterhaltung bei Tisch um die Tatsache, dass Chinchillas so flauschig und niedlich und überhaupt sind, dass man sie einfach gern haben muss. Dann ging es darum, dass bei besagter Dame ein Chinchilla-Mädchen aus dem Käfig ausgebüxt war, quer durch die Wohnung strolchte und erst nach Stunden mühsamen Jagens wieder eingefangen werden konnte. Dann das eigentliche Problem: Dame sagt: “Wenn Chinchillas sich gestresst fühlen, dann geht ihnen das Fell aus.” Ungläubiges Nachfragen aus der Runde. Bestätigung: “Ja, die haaren dann. Wenn sie sich erschrecken, wenn sie Angst haben. Dann verlieren Chinchillas viele Haare.”

Schnitt. „Chinchilla-Nacktmull“ weiterlesen

Versöhnung und Vandalismus

Schmidt in Shanghai: als versöhnlicher Gastgeber, Dekorateur und Waschmaschinengewicht.

Der achte Blog wird, wie die chinesische Zahlenphilosophie es vorsieht, das Glück zurück bringen. Ich habe meinen Frieden mit dem Land China gemacht, auch wenn der Spruch abgedroschen ist. Wenn das Land jedoch nur in Mäuseschritten auf einen zukommt, dann muss man eben selbst einen größeren Schritt wagen und den Menschen, mit denen ich hier am meisten zu tun habe, entgegen eilen.

Musik und Mampfen sind international, also dachte ich mir, ich schmeiße eine Party mit Essen und Liedern, dann wird schon ein Stück geschafft werden. Wer sollte etwas gegen solche Schleimereien sagen können? Ganz besonders freue ich mich, mecklenburgische Eierkuchen zu machen. In der Küche drehe ich zum Test am Gasherd, aber nichts passiert. Ich schaue in allen Luken links und rechts davon nach, aber keine Gasflasche. Der Hausmeister bringt später zwar eine, aber auch er bekommt die Sache nicht zum Laufen. Nun gut, es wird dann auch mit Snacks gehen, gehen müssen. Meine Kollegin half mir beim Einkaufen, und so brachten wir alles Mögliche in unser neues großes Büro und bereiteten eine Party vor.

Der Erfolg kam, das Eis brach, die Menschen freuten sich. Na also, es geht! Es wurde geklatscht, gesungen, gelacht und auch getanzt. Chinesisch, Deutsch und Englisch waren dabei, sogar Plattdeutsch habe ich gewagt, mit dem Lied „Dat du min Leevtsen büst”. Für uns ist es kaum vorstellbar, wie ähnlich sich die Sprachen in einem asiatischen Ohr anhören, und die Zuhörer kaum merken, wenn man von Deutsch auf Englisch wechselt. Dennoch war es wohl eine gute Idee, es kamen viel mehr Gäste als wir dachten, und so mussten von weit her Stühle herbeigezaubert werden, es wurden chinesische Olympiahymnen mit Hilfe von Laptop-Karaoke geschmettert und angeblich berühmte deutsche Fußballlieder gespielt, die uns aber nur vom Namen etwas sagten. Die Snacks waren schnell verputzt, Sonnenblumenkerne und Sesambrösel waren hier der Renner, auch neongrüne Trend-Getränke wurden angenommen, obgleich sie wohl anderenorts als Industriekleber genutzt werden können. Eine sehr schöne Party, rundherum. Viele der jungen Damen und Herren waren recht aufgeregt und plapperten noch später aufgeregt darüber.

Der Morgen danach war mit Aufräumarbeiten gefüllt. Also fix aufgestanden, noch eine Waschmaschine mit schmutzigen Tischdecken und Handtüchern angestellt und dann die Reste aus dem Büro geschleppt. Gesagt, getan. Gläser und Teller waren schnell herüber in die Küche gebracht. Dann gönnt man sich ein Frühstück. Da Milch hier aus irgendwelchen Gründen Mangelware ist und man kaum 10 Liter in einem Supermarkt findet, mache ich mir ein Müsli mit Erdbeerjoghurt.

Als ich mit der Schale Müsli noch mal in den gestrigen Feierraum gehe, höre ich ein lautes Rattern und Rumpeln aus der Küche. Ein metallischer Knall, dann ist es ruhig, aber irgendwie tröpfelt etwas. Ich renne sofort zur Küche und rutsche gleich am Eingang in einer Lache Wasser aus, wodurch ich die Müslischale fünf Meter weiter auf den Boden schmettere und somit unfreiwillig die Tapete drum herum mit Erdbeerfarbe um-dekoriere. Ich schaue, langsam aufstehend, in die Küche, und betrachte ehrfurchtsvoll die Waschmaschine, die eine Etage tiefer und wie ein bockiges Kind in die Ecke gewandert ist. Oje.

Aufwischen ist nun die Devise, aber dazu brauchen wir zwei Dinge, einen Eimer, ein wischendes Hilfsmittel, wo für es auf Deutsch so viele Bezeichnungen gibt, auf Chinesisch übrigens „mabù”, und dann drittens noch frische Luft zur Zirkulation. Während ich also wische und mich in den pitschnassen Flur vortaste, gehe ich wie selbstverständlich zum Fenster und öffne es, wobei das äußere Moskitofenster völlig unerwartet das Weite sucht und scheppernd auf das Blechdach knallt. Wie gerufen steht in derselben Sekunde eine Ingenieurin in der Tür. Oh Gott, ich muss ja unterrichten. Sie fragt: „Aber Mr. Schmidt, ich dachte, es gefällt ihnen im neuen Flur. Was machen sie denn hier?” Oje, nun sehe ich die erdbeerfarbene Tapete wieder. An die hatte ich ja gar nicht mehr gedacht. Ja, mir gefällt es hier, eigentlich. Aber was ich hier mache, ist gar nicht leicht zu erklären. Sie geht, und ich vertage die Unterrichtsstunde auf den Nachmittag. Der Wandertag der Waschmaschine und ihr Freiheitsdrang beim Schleudergang werden nun durch mein Gewicht begrenzt.

Basta! Ich mache mir ein neues Müsli und kann ein wenig durchatmen. Da erinnere ich mich an die alte Kinowerbung, die aufzeigt, dass die meisten Unfälle daheim geschehen und man demnach besser nicht da sein sollte, sondern eben im Kino. Zu spät. Aber ich denke bei mir, von nun an kann es heute nur noch langweilig werden.

Carsten Schmidt
, Freund aus Rostocker Uni-Tagen, berichtet in dieser Rubrik über seine Erlebnisse in Shanghai, wo er nun als Deutsch- und Englischlehrer arbeitet. Die Texte erscheinen auch bei miescha.de.